Wissmannstraßen

Warum umbenennen? Hermann von Wissmann trug mit militärischen Expeditionen maßgeblich zur gewaltsamen Kolonisierung des Kongo bei. Als Reichskommissar schlug er mit der »Wissmanntruppe« zwischen 1888 und 1890 den antikolonialen Widerstand der Küstenbevölkerung in »Deutsch-Ostafrika« (heute Tansania, Ruanda und Burundi) nieder. Er bereitete als Kolonialgouverneur wesentlich die Besteuerung der Kolonisierten vor, die 1905 zum Auslöser des Maji-Maji-Kriegs wurde, in dem mindestens 100.000 ostafrikanische Menschen ihr Leben verloren.

Die Wissmannstraße in Neukölln

… verbindet die Karlsgartenstraße mit der Hasenheide und liegt in der Nähe der U-Bahnstation Hermannplatz. Sie hat eine Länge von ca. 500 Meter, ist überwiegend eine Wohnstraße mit Mehrfamilienhäusern und bekannt durch das dort beheimatete Veranstaltungszentrum »Werkstatt der Kulturen« und die Kindervilla der Naturfreundejugend.

Erfolgreich: Die Umbenennung der Wissmannstraße in Lucy-Lameck-Straße!

Am 19. März 2018 hat die Bezirksverordnetenversammung Neukölln beschlossen, einen Dialogprozess mit den Anwohner*innen mit dem Ziel der Umbenennung zu beginnen. Als Alternativname wurde vorgeschlagen, die Straße „nach einer Frau zu benennen, die in Neukölln gelebt und/oder gewirkt hat oder einen inhaltlichen Bezug zum Thema Antikolonialismus besaß“ (DS 0089/XX). Ein Beteiligungsprozess wurde im August 2019 begonnen. Bis zum 26. Juli 2020 konnten Alternativnamen für die Wissmannstraße eingereicht werden. Eine Jury hat drei Alternativnamen aus 400 Namensvorschlägen ausgewählt und in einer Pressekonferenz vorgestellt: Nduna Mkomanile, Lucy Lameck oder Fasia Jansen. Am 7. Oktober wurde der Sachstand im Bildungsausschusses vorgestellt. Die Umbenennung in den endgültigen Namen „Lucy-Lameck-Straße“ hat die Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln am 25. November 2020 beschlossen. Am 23. April 2021 wurde die Umbenennung mit einem Festakt (Livemitschnitt) und einem Rahmenprogramm vollzogen.

Das Bündnis Decolonize Berlin hatte folgende Namen zur Umbenennung vorgeschlagen: Lucy Lameck, Mkomanile, Julius Nyerere, Kinjekitile Ngwale.

Die Wissmannstraße in Wilmersdorf

… verbindet die Erdener Straße mit der Trabener Straße. Sie liegt zwischen den beiden S-Bahnhöfen Grunewald und Westkreuz. Sie ist 500 Meter lang und eine Wohnstraße mit Gründerzeitvillen. Es sind zwei Stolpersteine verlegt. Eine Anwohnerinitiative in der Wissmannstraße 11 engagiert sich für einen öffentlichen Bürgergarten in Erinnerung an den jüdischen Alteigentümer Artur Barasch, der im KZ Sachsenhausen ermordet wurde. Eine Immobilienfirma plant allerdings einen Neubau mit Eigentumswohnungen.

Die Umbenennung der Wissmannstraße in Wilmersdorf

Am 13. Juni 2019 hat die Bezirksverordnetenversammung Charlottenburg-Wilmersdorf einen Prozess mit dem Ziel der Umbenennung beschlossen. Es sollen in einer Auftaktveranstaltung mit Decolonize Berlin und der betroffenen Community die Gründe für die Umbenennung und konkrete Namensvorschläge vorgestellt werden (DS 0491/5).
Das Bündnis Decolonize Berlin schlägt vor bei der Umbenennung mindestens einer der Wissmann-Straße den Bezug zur deutsch-ostafrikanischen Kolonialgeschichte beizubehalten.
Decolonize Berlin unterstützt auch den Vorschlag einer Gedenkinitiative zur Ehrung der im Nazi-Regime ermordeten jüdischen Familie Barasch, die in der Wissmannstraße lebte.

Benennungsjahre der Straßen: 1890 (Neukölln) und 1898 (Wilmersdorf)

Welche Städte haben bereits umbenannt?

  • Erfurt (1950), Leipzig (1950), Frankfurt-Oder (1953)
  • Bochum (1998): Umbenennung in Dr.-Moritz-David-Straße.Die Bochumer Initiative Südliches Afrika schlug vor, die Wissmannstraße in Oliver-R.-Tambo-Straße umzubenennen. Auf Antrag der Grünen und einer SPD-Beirätin wurde die Straße in Dr.-Moritz-David-Straße umbenannt.
  • Stuttgart (2009): Umbenennung in Wolle-Kriwanek-Straße.Die Stadtverwaltung nannte folgende Begründung: »Der Namensgeber war ein brutaler Schutztruppenkommandant und unterstützte den belgischen König Leopold II, bekannt als der ›Kongoschlächter‹, bei der Kolonialisierung.«(1)
  • Korntal-Münchingen (2009): Umbenennung in Ostheimer Weg.Der Gemeinderat der Stadt Korntal-Münchingen nannte folgende Begründung: »Während der Zeit des Nationalsozialismus im Jahr 1938 waren die beiden Straßen [Wissmann- und Carl-Peters-Str., Anm. d. Red.] nach ›Kämpfern für Deutschlands Kolonien‹ benannt worden. Diese im nationalsozialistischen Gedankengut begründete Entscheidung gehört nach Auffassung des Gemeinderates revidiert.«

Wie umbenennen?

Die Initiator*innen dieses Dossiers fordern bei Umbenennungen der nach Wissmann benannten Straßen bei mindestens einer Straße den Bezug zur deutsch-ostafrikanischen Kolonialgeschichte beizubehalten, aber die Perspektive der Erinnerung umzukehren. Das heißt, dass Personen des Widerstandes gegen die Kolonialmächte und gegen rassistische und koloniale Strukturen geehrt werden sollten.

Vorschläge für Alternativnamen vom Bündnis Decolonize Berlin für die Wissmannstraße in Neukölln

Zur Person

Hermann von Wissmann (geboren am 4.9.1853 in Frankfurt/Oder, verstorben am 16.6.1905 in Weißenbach/ Steiermark)

Begründer der kolonialen »Schutztruppe«

Es gibt nicht viele Menschen, denen bereits zu Lebzeiten eine Ehrung durch Straßennamen vergönnt ist. Einer der Wenigen war der Kolonialoffizier Hermann von Wissmann (1853 – 1905). Bereits 1890 wurde dem damals erst 37-jährigen Militär in Rixdorf /Neukölln und acht Jahre später auch in der Villensiedlung Grunewald eine Straße gewidmet. Nach seinem Tod folgten über 20 Straßenbenennungen im ganzen Deutschen Reich. Berlin ist die einzige Stadt, in der bis heute zwei nach Wissmann benannte Straßen zu finden sind.

Entehrung bundesweit

Das muss nicht nur wegen der wiederholten Aufforderungen des Berliner Magistrats zur Ausräumung irreführender Doppelbenennungen, die mit der Eingemeindung der Berliner Vororte 1920 entstanden, verwundern. Die einstige Glorifizierung Wissmanns ist in den letzten Jahrzehnten auch einer wachsenden Kritik an seiner Person gewichen. In Hamburg wurde bereits 1967 das Wissmanndenkmal gestürzt und Städte wie Bochum, Stuttgart und Korntal-Münchingen haben sich mittlerweile durch Straßenumbenennungen gegen eine weitere Ehrung des Mannes entschieden, den einflussreiche Geschichtsschreiber aus der Zeit des Nationalsozialismus als »großen Landsknechts- und Soldatenführer der kolonialen Kampfzeit der Deutschen in Afrika« priesen. (4)

Bewertung in Berlin

Auch in Berlin wächst die Kritik an der Würdigung Wissmanns. So setzte sich bereits vor zehn Jahren die in der Neuköllner Wissmannstraße liegende Werkstatt der Kulturen für eine Umbenennung ein. 2005 empfahl sogar ein Gutachten des Kulturamtes Neukölln eine Umbenennung. (5) Doch an Kauperts online verfügbarem »Straßenführer durch Berlin«, der als aktuelles Standard-Nachschlagewerk gilt, ist diese Entwicklung spurlos vorbeigegangen. Dort heißt es:

»Er stammte aus einer Offiziers- und Beamtenfamilie und wurde 1874 Leutnant, später Major. 1880 – 1882 durchquerte er im Auftrag der Afrikanischen Gesellschaft als erster Äquatorialafrika. 1884/85 erforschte Wissmann im Dienste Leopolds II. von Belgien das Kongogebiet und durchquerte Afrika erneut 1886/87. Als Reichskommissar für Deutsch-Ostafrika warf er 1888 – 1890 den Araberaufstand nieder. 1890 wurde er dafür geadelt. 1895 war er Gouverneur in Deutsch-Ostafrika, mußte aber krankheitsbedingt 1896 sein Amt aufgeben. Wissmann schrieb zahlreiche Reiseberichte und zählt zu den wagemutigsten und erfolgreichsten Afrikaforschern.«

Kolonisator im Kongo

Dabei steht Wissmanns Biographie geradezu exemplarisch für die heute gern geleugnete Verbindung von europäischer Erforschung der Welt auf der einen und kolonialer Gewalt auf der anderen Seite. Denn der sogenannte Afrikareisende durchzog Zentralafrika mit schwerbewaffneten Truppen. Im Regierungsauftrag eignete er sich kolonialherrschaftlich relevante Kenntnisse, Kulturobjekte und menschliche Gebeine an, die zu rassistischen Forschungen in Deutschland genutzt wurden. Unter seinem Wahlspruch »Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen!« griff er wie sein berüchtigter Kollege Henry Morton Stanley im Dienste ihres
gemeinsamen Auftraggebers Leopold II. von Belgien massiv in die bestehenden soziopolitischen Verhältnisse ein, um dessen barbarisches Kolonialregime vorzubereiten. (6)

Begründer der »Wissmann-Truppe«

Als es 1888 zum bewaffneten Widerstand der ostafrikanischen Küstenbevölkerung und ihrer Eliten gegen die Kolonisierung durch die »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft« kam, schlug der von Bismarck zum Heerführer ernannte Wissmann mit äußerster Härte zu. Der Einsatz der »Wissmanntruppe« – die spätere »Schutztruppe«, bestehend aus ortsfremden afrikanischen Söldnern unter dem Befehl deutscher Offiziere – zielte auf »ordonanzmäßige Devastierung«: Gefangenenexekutionen, Entführungen und Vergewaltigungen von Frauen, Plünderungen und Brandschatzungen waren an der Tagesordnung. Beobachter vor Ort glaubten, dass Wissmann »alles hängen will«. Widerständigen Dörfern drohte er an, »sie von der Karte verschwinden [zu] lassen«. (7)

Umstrittener »Kolonialheld«

Nach der Unterwerfung der lokalen Bevölkerung 1890 wurde Wissmann von kolonialbegeisterten Nationalisten nicht nur in Neukölln, sondern in ganz Deutschland bejubelt. Auf den erhofften Gouverneursposten von »Deutsch-Ostafrika« musste der Ehrgeizige, dem Vertreter der Reichsregierung »Anflüge von Größenwahn« bescheinigten, jedoch noch länger verzichten: Bei seinem Kriegszug in Ostafrika hatte er das Budget um ein Mehrfaches überzogen und war in den Verdacht der Mittelveruntreuung geraten.

Gouverneur von »Deutsch-Ostafrika«

Nachdem er 1895 doch noch zum Gouverneur von »Deutsch-Ostafrika« ernannt worden war, bereitete er die Besteuerung der Kolonisierten vor. Mit ihr sollte die Bevölkerung zur Arbeit für die Deutschen genötigt werden. 1905, im Jahr seines Todes, sollte diese Besteuerung zum Maji-Maji-Krieg von mehr als 20 südtansanischen Gemeinschaften gegen die kolonialen Unterdrücker führen. Bei der genozidalen Niederschlagung der Erhebung wurden ganze Regionen verwüstet. Auf ostafrikanischer Seite verloren dabei über 100.000 Menschen ihr Leben. (8)

1. Landeshauptstadt Stuttgart, Beschlussvorlage »Straßenbenennungen« vom 23.1.2009 (GRDrs 24/2009).
2. Bericht aus der Öffentlichen Sitzung des Gemeinderates am 28.7.2011.
3. »Schutztruppe« ist ein euphemistischer Begriff, der »die deutsche Kolonialarmee bezeichnete, jene Truppen also, welche die innere Eroberung der deutschen Kolonien erzwangen und […] genozidäre Kriege in Afrika führten«. (Eckert, Andreas/ Wirz, Albert: »Wir nicht, die anderen auch. Deutschland und der Kolonialismus«, in: Conrad, Sebastian u. a. (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt (Main) 2002, S. 372 – 392). »Geschützt« werden sollten zuerst deutsche Interessen, später wurde vor allem der »Schutz« der entmündigten Kolonisierten betont.
4. Frank, Walter: Carl Peters, in: Carl Peters, Gesammelte Schriften, Bd. 1, München 1943, S. 4.
5. »Werkstatt der Kulturen für Umbenennung der Wissmannstraße«, Berliner Morgenpost, 27.12.2005.
6. Wissmann, Hermann von: Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost. Von 1880 bis 1883 ausgeführt von Paul Pogge und Hermann Wissmann, Berlin 1888. Derselbe: Im Innern Afrikas. Die Erforschung des Kassai während der Jahre 1883, 1884 und 1885, Leipzig 1888. Derselbe: Meine zweite Durchquerung Äquatorial-Afrikas vom Congo zum Zambesi während der Jahre 1886 und 1887, Berlin 1890.
7. RKA 743, Bumiller an Bismarck, 11.11.1889; RKA 749, Deinhard an OK Marine, 8.6.1889; RKA 740, Wissmann an Bismarck, 27.7.1889, zit. in: Müller, Ferdinand Fritz: Deutschland-Zanzibar-Ostafrika. Geschichte einer deutschen Kolonialeroberung. 1884 – 1890, Berlin 1959, S. 428 – 457.
8. Zu Wissmann: Maercker, Georg: Unsere Schutztruppe in Ost-Afrika, Berlin 1893; Becker, Alexander (u. a.): Hermann von Wissmann – Deutschlands größter Afrikaner, Berlin 1906; Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien, Stuttgart 1985; »Hermann von Wissmann«, in: Killy, Walther u. a. (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopädie, 1995; Morlang, Thomas: »Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen.« – Der umstrittene ›Kolonialheld‹ Hermann von Wissmann, in: Van der Heyden,lrich u. a. (Hrsg.): Macht und Anteil an der Weltherrschaft. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005.

Text „Zur Person“: Christian Kopp, Foto: Tahir Della