Amazonien in Gefahr! Indigene im Kampf gegen Landraub und die Zerstörung des Regenwaldes
Indigene wie die Munduruku in Brasilien kämpfen seit Jahren für die Anerkennung ihrer Rechte und für den Erhalt ihrer Lebensgrundlage, den Regenwald. Seit Mitte letzten Jahres unterstützt das Land Berlin die Initiative „Berlin aktiv im Klima-Bündnis“ und darüber ein Südpartnerschaftsprojekt mit den Munduruku im brasilianischen Amazonasgebiet. Aktuell sind die Munduruku jedoch bedrohter denn je. Umso mehr gilt es deshalb, auch hierzulande für ihre Anliegen Öffentlichkeit herzustellen und (weiterhin) Solidarität zu praktizieren.

„Wir Munduruku-Frauen sind gegen den Marco Temporal und die PL 490 und wir werden immer den Kampf für die Verteidigung unseres Territoriums und unserer eigenen Rechte fortfahren“, so skandieren die indigenen Munduruku-Frauen, unterstützt von den Männern und Kindern, in ihrem Protestvideo, das sie vor Kurzem auf Youtube hochgeladen haben. Das indigene Volk der Munduruku umfasst ca. 13.000 Menschen und sie leben im Gebiet des Tapajós-Flusses im brasilianischen Amazonasgebiet. Seit Jahrzehnten kämpfen sie um die Demarkation, also die rechtliche Anerkennung ihrer Gebiete, von denen nur ein Bruchteil bislang als „Terra Indígena“ („indigenes Territorium“) seitens des brasilianischen Staates anerkannt wurde.
Bedroht werden die Munduruku durch Infrastukturprojekte wie Staudämme, Wasserstraßen, Bundesstraßen und durch die Schiffbarmachung der Flüsse Juruena, Teles Pires und Tapajós, um noch mehr Agrar- und mineralische Güter aus Amazonien zu transportieren und auf den Weltmarkt zu exportieren. Enorm ist auch die Bedrohung durch illegale Goldsucher, die das Land zerstören und die Flüsse und somit die Nahrungskette der Munduruku durch Quecksilber vergiften, das zum Auswaschen des Goldes dient.

Aktuell werden die Indigenen Gebiete aber auch in Brasília bedroht – und zwar durch die sogenannte Stichtagsregelung „Marco Temporal“. Diese juristische Theorie besagt, dass Indigene und andere traditionelle Völker Brasiliens nur auf das Land Anspruch hätten, auf dem ihr Volk zum ausgewählten Stichtag nachweislich lebten. Als Stichtag wurde der 5. Oktober 1988 definiert, an dem die heute gültige Verfassung Brasiliens verkündet wurde. Konkret geht es bei dem Rechtsstreit um die indigenen Xokleng aus dem südlichen Bundesstaat Santa Catarina. Die Xokleng wurden ab den 1850 Jahren verfolgt, ermordet und vertrieben, um Platz zu machen für die vor allem deutschen Auswanderer*innen, die sich im Süden Brasiliens ein neues Leben erhofften. 1930 gab es ein letztes großes Massaker, bei dem 284 Indigene, einschließlich etliche Kinder, brutal ermordet wurden. Daraufhin flohen die wenigen Überlebenden und trauten sich bis weit nach Ende der brasilianischen Militärdiktatur 1985 nicht in die Gegend zurück. Die meist deutschen Farmer*innen ließen sich nach dem Massaker auf dem historischen Gebiet der Xokleng nieder und blieben.
Für die Indigenen ist klar: Die Stichtagsregelung würde 500 Jahre Kolonialismus, Vertreibung und Landraub nachträglich noch einmal legalisieren. „Unsere Geschichte begann nicht erst vor 500 Jahren!“, ist deshalb auch eines der zentralen Mottos, mit denen Tausende von Indigenen Anfang Juni zum wiederholten Male nach Brasília fuhren, um Ihr „Nein zum Marco Temporal“ unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen.
Am 7. Juni tagte Brasiliens Oberster Gerichtshof zum wiederholten Mal, um über die Verfassungsmäßigkeit – oder nicht – der Stichtagsregelung zu urteilen. Nachdem insgesamt drei von zehn Richter*innen geurteilt hatten – zwei gegen den „Marco Temporal“, einer dafür – wurde die Abstimmung erneut vertagt. Das Damoklesschwert des „Marco Temporal“ schwebt weiter in der Judikative.

Auch die Legislative bedroht die Indigenen. Das brasilianische Abgeordnetenhaus hatte Ende Mai 2023 für die Gesetzesinitiative PL 490/07 283 Ja-Stimmen bei 155 Nein-Stimmen abgegeben. Die PL 490 befürwortet explizit den „Marco Temporal“. Möglich wurde diese erdrückende Mehrheit für den „Marco Temporal“ durch die parteiübergreifende Fraktion der sogenannten „ruralistas“ der FPA (Frente Parlamentar da Agropecuária). Diese dem Agrobusiness nahestehende FPA stellt 300 der 513 Abgeordneten im brasilianischen Abgeordnetenhaus. In der zweiten Kammer des Nationalkongresses, dem Senat, zählt die FPA nach eigenen Angaben 47 der 81 Senator*innen. Die FPA stellt somit derzeit die mächtigste parteiübergreifende Fraktion im Nationalkongress dar. Die PL 490 liegt nun dem Senat zur Beratung und Abstimmung vor.
„Das war unglaubliche Feigheit der Abgeordneten, uns unsere Rechte abzuerkennen!“, erbost sich Maria Leuza Munduruku in dem von der Frauenorganisation Wakoborun veröffentlichten Protestvideo. „Das Leben unserer Kinder ist gefährdet. Deshalb sagen wir: Marco Temporal: Nein! PL 490: Nein! Demarkation: Ja!“
Christian Russau, FDCL – für die Initiative Berlin aktiv im Klima-Bündnis.
Berlin ist seit 1992 Mitglied im „Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder e.V.“ und gehört damit zu dessen Gründungsmitgliedern. Mit fast 2.000 Mitgliedern aus mehr als 25 europäischen Ländern ist das Klima-Bündnis (im Folgenden: KB) das größte europäische Städtenetzwerk, das sich zu einem umfassenden und gerechten Klimaschutz bekennt. Um der globalen Klimakrise entgegen zu treten und mehr Klimagerechtigkeit herzustellen, haben sich die Mitglieder gemeinsam dazu verpflichtet, (1) mit lokalen Klimaschutzaktivitäten konkrete Klimaschutzziele zu erreichen, und (2) den amazonischen Regenwald zu schützen und dabei mit den indigenen Völkern Amazoniens partnerschaftlich zusammenzuarbeiten und diese zu unterstützen.
Die zivilgesellschaftliche Initiative „Berlin aktiv im Klima-Bündnis“ unterstützt Berlin, seinen im Rahmen des Klima-Bündnisses eingegangenen Verpflichtungen konkret nachzukommen. Es besteht aus den folgenden Organisationen: Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW), Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER), Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Lateinamerika-Forum Berlin (LAF), Lateinamerika Nachrichten (LN), kolko – Menschenrechte für Kolumbien.