Eckige Klammern der EZ
Worum geht es in den Koalitionsverhandlungen beim Thema Entwicklungszusammenarbeit?
BER-Interview mit Arndt von Massenbach, Geschäftsführer vom INKOTA-netzwerk
Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD geht es um die Zukunft des Politikfeldes Entwicklungszusammenarbeit. In der vorbereitenden Arbeitsgruppe sind große Unterschiede zwischen den künftigen Koalitionspartnern sichtbar geworden. Sie zu bewerten lohnt sich genauso wie das ausstehende Ergebnis – also den Koalitionsvertrag. Diesen wird der BER bei einem Netzwerktreffen unmittelbar nach dessen Veröffentlichung thematisieren. Verfolgt daher unsere Veranstaltungshinweise auf unserer Website oder in unserem Newsletter.
BER: Zurzeit tagen die Spitzen der künftigen Koalition und diskutieren die Ergebnisse der Arbeitsgruppen. Deren Ergebnisse sind mittlerweile bekannt – die Arbeitsgruppe 12 konnte sich in wesentlichen Fragen der Entwicklungszusammenarbeit nicht einigen. Gehen wir die Punkte kurz durch.
Die Finanzierung der Humanitären Hilfe und Krisenprävention ist eine „strittige Strukturfrage“. Was steckt dahinter, worum geht es?
Arndt von Massenbach: In den Verhandlungen treffen grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen der Koalitionäre zur zukünftigen Rolle von Entwicklungszusammenarbeit aufeinander. CDU/CSU möchten die Entwicklungszusammenarbeit an den Wirtschaftsinteressen Deutschlands ausrichten, während die SPD stärker die Orientierung an den UN-Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) betont. Auch die Frage der Finanzierung ist hoch umstritten. Daher bleiben viele eckige Klammern im Ergebnispapier der Arbeitsgruppe.
Bei dem von dir angesprochenen Absatz geht es um die Mittel für die Humanitäre Hilfe. Sie sind schon unter der alten Bundesregierung infolge des selbstauferlegten Sparzwangs überproportional gekürzt worden. Global gesehen steckt die Humanitäre Hilfe nach dem abrupten fast vollständigen Rückzug der USA in der größten Krise, die es je gab – mit verheerenden lebensbedrohlichen Folgen für Millionen von Menschen weltweit. Die Frage, welche Verantwortung daraus für Deutschland resultiert, wurde in der zuständigen Arbeitsgruppe unter den Koalitionären kontrovers diskutiert.
BER: In dem Papier der Arbeitsgruppe heißt es in rot, also von der SPD: „Die Aussöhnung mit Namibia bleibt für uns eine unverzichtbare Aufgabe, die unserer historischen und moralischen Verantwortung erwächst. Das Versöhnungsabkommen mit Namibia werden wir rasch abschließen. Dies wird zugleich Auftakt zu einem gemeinsamen Prozess der Aufarbeitung der unentschuldbaren Verbrechen der deutschen Kolonialherren in der Welt werden.“ CDU/CSU wollen das nicht. Was steckt dahinter?
Arndt von Massenbach: Auch hier zeigen sich die fundamentalen Unterschiede der Koalitionspartner. Unter der sozialdemokratischen Entwicklungsministerin Svenja Schulze wurden die Elemente feministischer und dekolonialer Entwicklungszusammenarbeit gestärkt. In der Praxis ist da allenfalls ein Anfang gemacht, aber die Forderung nach der Aufarbeitung kolonialer Verbrechen ist in diesem Kontext zu verstehen. Die CSU und Teile der CDU haben mit Anti-Wokeness im Wahlkampf Stimmung gemacht. Begriffe wie feministische oder dekoloniale Entwickwicklungspolitik sucht man daher im Papier der Arbeitsgruppe vergeblich. Für einige in der CDU und CSU geht auch die Erwähnung deutscher Kolonialherren als Verbrecher zu weit.
BER: Und nun der Evergreen: CDU/CSU möchten „das BMZ in das Auswärtige Amt integrieren“ und somit abschaffen. Die SPD möchte es stärken. Wo siehst Du Kompromissmöglichkeiten? Was hieße es, wenn sich die eine oder die andere Partei durchsetzen würde?
Arndt von Massenbach: Tatsächlich gab es die Diskussion um die Abschaffung des BMZ als eigenständiges Ministerium praktisch bei allen Koalitionsverhandlungen der letzten zwanzig Jahre. Doch so ernst wie diesmal war es nie. Die SPD hält an ihrer Forderung eines starken und eigenständigen Entwicklungsministeriums fest, die bereits im Wahlprogramm zu finden war. Die Verhandler*innen der Union haben die Integration des BMZ ins Auswärtige Amt ins Papier geschrieben. Allerdings gibt es dazu auch in der Union unterschiedliche Meinungen. Während der Verhandlungen der AG haben sich die ehemaligen Minister Peter Altmeier (CDU) und Gerd Müller (CSU) für den Erhalt des BMZ ausgesprochen. Der CSU-Entwicklungspolitiker Wolfgang Stefinger, der auch Mitglied der Verhandlungsgruppe ist, hat in der Vergangenheit für die Integration der Humanitären Hilfe ins BMZ plädiert. Mein Tipp: Das BMZ bleibt erhalten und dafür macht die SPD an anderer Stelle Zugeständnisse, zum Beispiel beim Geld.
BER: Die Zivilgesellschaft, zum Beispiel die agl und VENRO, setzt sich sehr für den Erhalt des BMZ ein. Warum ist das so wichtig? Könnte Entwicklungszusammenarbeit nicht auch vom Auswärtigen Amt gut gemacht werden?
Arndt von Massenbach: Theoretisch ist vieles denkbar. Entscheidender als die Ressortzuständigkeit ist die inhaltliche Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit als Politikfeld mit eigenen Zielen sowie die finanzielle Ausstattung. Aber machen wir uns nichts vor. Bisher war die deutsche Entwicklungspolitik auch von nationalen Interessen geleitet. Die Sorge, dass die Unterordnung unter außen-, migrations- und wirtschaftspolitische Ziele bei einer Integration ins Auswärtige Amt zunimmt, ist aber berechtigt. In den Ländern, die einen ähnlichen Weg gegangen sind, hat die Entwicklungszusammenarbeit aber auch als Instrument von Soft Power stark gelitten. Großbritannien zum Beispiel hat in der Folge seine führende Rolle in der globalen Entwicklungszusammenarbeit verloren und viel Vertrauen von Partnerländern verspielt. Dazu kommt: Eine Fusion der Ministerien AA und BMZ würde über einen längeren Zeitraum viele Ressourcen binden. Das können wir uns in der aktuellen Situation schlicht nicht leisten.
BER: Und dann noch das Geld: CDU/CSU wollen die ODA-Quote senken, die SPD will daran festhalten, mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für öffentliche Entwicklungsleistungen aufzuwenden. Wie bewertest Du das? Die Quote ist doch auch jetzt unter der Kanzlerschaft der SPD wesentlich niedriger.
Arndt von Massenbach: Das stimmt. Bereits 2024 lag die ODA-Quote mit 0,66 Prozent unterhalb dieser Zielmarke. Und dieses Ergebnis kam auch nur dadurch zustande, weil die Bundesregierung die Kosten für die Aufnahme von Geflüchteten einrechnet. Ansonsten kämen wir auf 0,52 Prozent. Die SPD bekennt sich aber weiter zum international vereinbarten 0,7-Prozent-Ziel. CDU/CSU gehen die massiven Kürzungen der letzten Jahre dagegen noch nicht weit genug. Wie man hört, haben sie in der Arbeitsgruppe die Halbierung der ODA-Quote auf 0,35 Prozent des BNE gefordert. Damit wäre eine eigenständige Entwicklungspolitik nicht mehr möglich. Schon jetzt verbleibt wie gesagt ein großer Teil der Mittel im Inland. Neben den Kosten für Geflüchtete sind das zum Beispiel auch Studienplatzkosten für ausländische Studierende – unabhängig davon, ob sie nach ihrem Studium in ihre Heimatländer zurückgehen. Weitere Mittel gehen an die EU. Letztlich bliebe bei der Umsetzung des CDU/CSU-Vorschlags kaum etwas übrig für bilaterale Zusammenarbeit.