Was bleibt! Projekte, die Strukturen verändern
Interview mit Julia Große zu kommunaler Entwicklungspolitik im Bezirk Mitte
Globale Gerechtigkeit braucht Veränderungen im Globalen Norden, vor Ort, in der Stadt, im Kiez. In den Berliner Bezirken betrifft dies vor allem die Verwaltungen, den Alltag vieler Menschen und das Zusammenleben in der Nachbarschaft. Seit 2018 setzen sich im Bezirk Mitte zwei Koordinatorinnen für kommunale Entwicklungspolitik ein, ähnlich wie in sechs weiteren Bezirken. Julia Große erzählt im Interview, welche Erfolge es in den Bereichen nachhaltige Beschaffung und Fairen Handel, Klima- und Ressourcengerechtigkeit sowie migrantische Teilhabe gibt.
Viele Menschen verorten Entwicklungspolitik auf der Bundesebene als Unterstützung für von Armut bedrohte Länder – welche Bedeutung haben Projekte kommunaler Entwicklungszusammenarbeit?
Die globalen Probleme können nicht alleine auf internationaler Ebene, auf Bundes- oder Landesebene gelöst werden. Insofern ist es gut, dass sich in den letzten Jahren immer mehr Kommunen im Bereich Entwicklungspolitik engagieren. Sie spielen sogar eine Schlüsselrolle. Wir brauchen die lokale Ebene, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen. Das bezieht sich auf Klimaschutz, auf Klimaanpassung, aber auch auf Städtepartnerschaften von Bezirken und Kommunen. Auch sind Kommunen viel bürgernäher: Was beispielsweise in Berliner Bezirken passiert, hat konkrete Auswirkung auf die Kieze.
Wie engagieren sich Berliner Verwaltungen für kommunale Entwicklungspolitik?
Jede Bezirksverwaltung ist anders aufgestellt und unterschiedlich weit im Engagement. Wir Koordinatorinnen für kommunale Entwicklungspolitik arbeiten daran, dass Themen globaler Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit als Querschnitt in der Verwaltung verankert werden. In der Praxis ist es manchmal schwierig, weil die Bezirke auf den ersten Blick keinen Einfluss auf globale Herausforderungen haben. Auf den zweiten Blick kann das schon anders sein, zum Beispiel beim Thema Ressourcengerechtigkeit – wenn man die Beschaffungspraxis der Bezirke betrachtet, haben sie sehr wohl einen Einfluss und können auch damit global verantwortlich handeln.
Vor welchen Herausforderungen habt Ihr zu Beginn Eurer Arbeit im Bezirk Mitte gestanden?
Seit 2018 gibt es im Bezirksamt Mitte die Koordinierungsstelle Kommunale Entwicklungspolitik. Am Anfang gab es wenig Sensibilität. Es hat ungefähr zwei Jahre gedauert, bis der Verwaltung die Notwendigkeit bewusst wurde. Die Herausforderung ist, dass wir bisher ohne gesetzliche Grundlage arbeiten, anders als zum Beispiel Integrations- oder Gleichstellungsbeauftragte.
Du hast das Beispiel Ressorcengerechtigkeit angesprochen. Was macht die Bezirksverwaltung Mitte dazu?
Wir haben eine fachübergreifende Arbeitsgruppe Ressourcen-Schonung initiiert und arbeiten aktuell am Aufbau einer Gebrauchtwarenbörse, durch die Mobiliar und gebrauchte Materialien intern und extern vermittelt werden. Zudem erarbeiten wir eine Dienstanweisung für die 3.600 Amtsmitarbeiter*innen zum schonenden Umgang mit Ressourcen, z.B. durch Abfalltrennung.
Manchmal ist der begrenzte Handlungsspielraum der Bezirke aber auch frustrierend, beispielsweise im Bereich der nachhaltigen und fairen Beschaffung, die ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist. Wenn das Ordnungsamt Bekleidung bestellt, dann wird dies durch eine Rahmenvereinbarung für Berlin und Brandenburg geregelt, und man kann auf Bezirksebene nicht viel Einfluss ausüben. Es gibt aber auch Textilien, die die Bezirke direkt beziehen, zum Beispiel für ihr Grünflächenamt. Hierbei lassen sich Impulse setzen, die ein Umdenken innerhalb der Verwaltung befördern.
Beim Kauf von fairem Kaffee ist der Widerstand weniger groß. Das tut nicht weh und ist nach außen gut darstellbar. Die Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt (VwVBU) fokussiert auf ökologische Vergabekriterien, soziale werden weniger mitgedacht. Zudem haben die verantwortlichen Mitarbeiter*innen bei sozialen Kriterien oft Bedenken, dass sich die Arbeitsbelastung erhöht, auch weil es zu wenig Personalressourcen gibt.
Wo habt Ihr bereits Erfolge erzielt?
Mittlerweile fragen mehr Mitarbeiter*innen nach Unterstützung für die faire Beschaffung an. Dabei geht es um arbeits- und menschenrechtliche Standards in den Lieferketten, um die ILO-Kernarbeitsnormen. Hier unterstützt uns die Kompetenzstelle für Faire Beschaffung in der Berliner Wirtschaftsverwaltung – denn seit 2020 können nach dem Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (BerlAVG) sensible Produkte wie Natursteine, Leder, Holz, Kaffee und einige mehr nur noch nach Vorlage glaubwürdiger Nachweise in Form von Siegeln oder Gütezeichen beschafft werden.
Wir haben einen Leitfaden für nachhaltige Beschaffung entwickelt, der nun für die Gesamtberliner Verwaltung verfügbar ist. Im Pilotprojekt in Friedrichshain-Kreuzberg wurden faire Steine am Mehringplatz verlegt, das hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt.
Welche Projekte gibt es im Bereich Klimagerechtigkeit?
Wir haben in Mitte den Klimanotstand anerkannt und Maßnahmen verabschiedet, wie zum Beispiel den Klima-Check. Jeder Beschluss im Bezirk muss vorher auf seine Klimaauswirkungen geprüft werden: Können die CO2-Emissionen verringert oder neutralisiert werden? Im Herbst 2023 wird ein Klimaschutz- und Anpassungskonzept mit Maßnahmen beim privaten Konsum, bei Mobilität, Begrünung und CO2-neutraler Verwaltung verabschiedet.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen?
Wir schließen Lücken in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit, um keine Parallelstrukturen zu NGOs aufzubauen. Daher konzentrieren wir uns auf Verwaltungsmitarbeiter*innen, sie sind auch schwer für zivilgesellschaftliche Gruppen zu erreichen. Bei internen Fortbildungen holen wir uns die Expertise von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Es gibt aber auch gemeinsame Projekte in den Fairtrade-Town Kampagnen und bei Veranstaltungen. Im „Aktionsbündnis Mitte fair und nachhaltig“ arbeiten wir im Netzwerk zusammen, was sehr bereichernd ist. Und wir möchten ein Forum fortführen, um migrantisch-diasporische Gruppen zu stärken. Außerdem wurden wir beauftragt, eine Städtepartnerschaft mit einer afrikanischen Kommune aufzubauen und haben einen Beteiligungsprozess mit allen interessierten, afrikanischen diasporischen Organisationen gestartet. Gemeinsam wurden Kriterien für die Städtepartnerschaft entwickelt. Die Gruppe konnte Vorschläge machen und hat Lideta in Addis Abeba als Partnerbezirk ausgewählt.
Wie bewertest du den Bezirksfonds als Finanzierungsstruktur für entwicklungspolitische Projekte?
Es gibt viele Mittel über die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW), die wir hauptsächlich beantragen. Die Verwaltung ist etwas aufwändig und lohnt sich für größere Vorhaben. Darum ist der Bezirksfonds bei der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit (LEZ), der 2018 eingerichtet wurde, wichtig für kleinere Projekte und städtische Träger, wie zum Beispiel Bibliotheken. Ich würde mir wünschen, dass mehr Mittel zur Verfügung stehen und es kein Antragslimit gibt, um mehrere kleinere Projekte umzusetzen.
Auf welchen Erfolg blickst du besonders gerne zurück?
Gemeinsam mit Verwaltungsmitarbeiter*innen haben wir ein internes Leitbild zu Nachhaltigkeit entwickelt, was in die Bezirksamtsziele eingeflossen ist. Die Maßnahmen stellen nun jährlich einen Bezug zu den UN-Nachhaltigkeitszielen her. Wenn wir etwas umsetzen, was bleibt und wenn wir Strukturen verändern, ist das ein Highlight. Ein weiteres tolles Projekt wurde gemeinsam mit Friedrichshain-Kreuzberg umgesetzt. Dabei ging es um koloniale Kontinuitäten und ihre Auswirkungen auf die Bibliotheksarbeit. Wir haben den Bestand analysiert, Neuanschaffungen gemacht sowie Anti-Rassismus-Trainings und Veranstaltungen durchgeführt. Das hatte in jedem Fall einen nachhaltigen Effekt, mit dem wir hier weiterarbeiten.
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