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Eine global gerechte Stadt ist eine mit inklusiven Beteiligungsformaten, die alle Menschen einbeziehen

Interview mit Renée Eloundou – Decolonize Berlin e.V., Panelist auf der 24/7 BER-Konferenz am 20. September 2024 zum Thema „Machtkritik und Ko-Produktion als Grundlage der Transformation der Stadt“

BER: Was macht eine global gerechte Stadt aus?

Renée Eloundou: Eine global gerechte Stadt ist eine Stadt, die für alle Menschen zugänglich ist, die zu ihrer Entwicklung positiv beitragen wollen. Das bedeutet, dass die verschiedenen Communities, die sie ausmachen, sich im Stadtbild repräsentiert sehen. Gleichzeitig muss ihnen durch Zugang zu wichtigen Ressourcen wie Bildung, staatliche Dienstleistungen, Gesundheitsversorgung und bezahlbarem Wohnraum eine aktive und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. In einer global gerechten Stadt reagieren die Entscheidungsträger*innen flexibel auf die spezifischen Bedürfnisse der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und berücksichtigen gleichzeitig die globalen Auswirkungen ihres Handelns – etwa beim Ressourcenverbrauch, in Fragen der Klimagerechtigkeit oder im Hinblick auf faire wirtschaftliche Beziehungen.

BER: Welche Herausforderungen gibt es auf dem Weg zu einem global gerechten Berlin?

Renée Eloundou: Eine der größten Herausforderungen ist, dass marginalisierte Communities oft von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen bleiben. In Deutschland und besonders in Berlin gibt es viele strukturelle Hürden, die es Menschen aus diesen Gruppen erschweren, sich als gleichwertiger Teil der Gesellschaft wahrzunehmen. Diese Ausgrenzung wird durch das Erstarken rechter Bewegungen und entsprechender Narrative weiter verstärkt.

BER: Wie spiegelt sich das in den Lebensrealitäten der Bevölkerung wider?

Renée Eloundou: Viele dieser Gruppen fühlen sich zunehmend unsicher und erleben, wie Solidarität in der Gesellschaft schwindet. Hinzu kommen institutionelle Barrieren, die ihre Partizipation erschweren. Ein Beispiel ist die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, die den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum einschränkt und marginalisierte Gruppen weiter an den Rand drängt. Sprachliche und kulturelle Hürden sind ein weiteres Problem. Viele staatliche Institutionen bieten ihre Dienstleistungen und Informationen fast ausschließlich auf Deutsch an, oft ohne Übersetzungsmöglichkeiten. Das erschwert es migrantischen Menschen oft, ihre Rechte wahrzunehmen oder sich politisch einzubringen.

Ein weiteres Beispiel ist, dass politische Gremien Themen häufig nur aus einer weißen, heteronormativen Perspektive behandeln. Dadurch werden intersektionale Erfahrungen von Diskriminierung und Ungleichheit unsichtbar gemacht. Das betrifft besonders Frauen aus marginalisierten Communities, deren Anliegen nicht gehört werden und die es schwerer haben, ihre Perspektiven in politische Prozesse einzubringen.

In meiner Arbeit geht es deshalb darum, diese strukturellen Ungleichheiten sichtbar zu machen und gleichzeitig Räume für Solidarität und gegenseitigen Austausch zu schaffen.

BER: Du setzt dich bei Decolonize Berlin dafür ein, dass Dekolonisierung als Querschnittsaufgabe und eigenständiges Themenfeld in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen etabliert wird. Was sind Herausforderungen im Rahmen dieser Prozesse, um diskriminierungskritische und vielfältigere Beteiligungsformate zu schaffen?

Renée Eloundou: Dank jahrzehntelanger Arbeit von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ist es uns gelungen, das Thema der Dekolonisierung auf die politische Agenda des Landes Berlin zu setzen. Wichtige Fortschritte sind der Senatsbeschluss zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Berlins oder das unter der Leitung von Dr. Ibou Diop entwickelte Erinnerungskonzept Kolonialismus. Aber es gibt noch viele Hindernisse.

Eine der größten Herausforderungen ist, dass die beschlossenen Maßnahmen oft nur zögerlich umgesetzt werden. Obwohl der Senatsbeschluss klare Vorschläge enthält, fehlt oft die politische Verpflichtung, diese auch konsequent umzusetzen. Das erschwert es, die Bedeutung und Relevanz der Dekolonisierung in der breiten Öffentlichkeit und vor allem in politischen Entscheidungsprozessen zu verankern. Nun erleben wir eine Zunahme rechtsextremer Tendenzen, die die bereits erreichten Errungenschaften gefährden. In diesem Klima bleibt es besonders schwierig, Schwarze Communities und andere betroffene Gruppen aktiv und gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse einzubinden.

BER: Wie können zivilgesellschaftliche Beteiligungsformate diese Prozesse erleichtern?

Renée Eloundou: Viele Beteiligungsformate sind nicht diskriminierungskritisch gestaltet, was dazu führt, dass sich marginalisierte Personen entweder nicht repräsentiert fühlen oder erst gar keinen Zugang zu diesen Formaten haben. Ein Beispiel dafür ist die Stadtplanung: Häufig werden hier Entscheidungen getroffen, ohne die Stimmen der Menschen einzubeziehen, die am stärksten von Gentrifizierung und Verdrängung betroffen sind. Gleichzeitig folgt die Stadtplanung einer Wirtschaftslogik, die den Schutz von Nachbarschaften und vielfältigen Lebensweisen nicht als wertvoll erachtet. Um in der Stadtentwicklung Veränderung zu bewirken, müssen wir inklusive Beteiligungsformate entwickeln, die alle Menschen einbeziehen. Die Menschen, die Diskriminierung und die Folgen des Kolonialismus am stärksten spüren, müssen Gehör finden und sich beteiligen können.

Renée Eloundou arbeitet als Ko-Leitung der Koordinierungsstelle für einen Gesamtstädtischen Aufarbeitungsprozess zu Berlins kolonialer Vergangenheit bei Decolonize Berlin e.V.