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Reparieren gegen die Wegwerfgesellschaft

Der Globale Norden muss seine Art des Wirtschaftens und seinen Umgang mit Ressourcen reparieren. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Julius Neu, Eine Welt-Promotor für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei BER-Mitglied INKOTA-netzwerk e.V. über die Aktivitäten für ein Recht auf Reparatur in Berlin und die globale Dimension.

Computerschrott©dokumol_paxabay

Berge von Elektroschrott

Ein Kühlschrank, ein Laptop, zwei Handys, ein Mixer, ein Staubsauger, ein Wasserkocher, ein Rasierapparat und jede Menge Kabel, Ladegeräte und Netzteile. So oder so ähnlich könnte er aussehen, der über 80 kg schwere Elektroschrotthaufen, den ein vierköpfiger Haushalt in Deutschland im Schnitt pro Jahr produziert. Mit mehr als 20 kg pro Kopf und Jahr liegen wir deutlich über dem EU-Schnitt, vom globalen Vergleich ganz zu schweigen. Doch können wir den ganzen Elektroschrott nicht einfach recyceln?

So einfach ist das nicht. Zum einen ist die Sammelquote von Elektrogeräten in Deutschland zuletzt von ohnehin niedrigen 44 Prozent auf gerade einmal 39 Prozent gesunken. Das EU-Mindestsammelziel von 65 Prozent liegt damit in weiter Ferne. Das heißt, es landen jedes Jahr über eine Million Tonnen Elektrogeräte im Restmüll oder werden illegal exportiert. Das entspricht etwa dem Gewicht von 100 Eiffeltürmen. Zum anderen beschränkt sich das Recycling von Elektrogeräten bislang auf Massenmetalle (wie Eisen, Kupfer oder Aluminium) sowie Edelmetalle (wie Silber oder Gold), die leicht rückgewinnbar sind. Für viele Metalle gibt es noch keine Verfahren oder sie kommen in so kleinen Mengen vor, dass sich ein Recycling nicht lohnt. Aber auch beim besten Recycling entstehen allein aus thermodynamischen Gründen immer Materialverluste. Die perfekte Kreislaufwirtschaft kann es also gar nicht geben.

Von globalen Ungerechtigkeiten

Unser Umgang mit Rohstoffen ist geprägt von kolonialen Strukturen und erzeugt in vielerlei Hinsicht globale Ungerechtigkeiten. Nicht nur werden beim Abbau von metallischen Rohstoffen für Handys, Laptops und Co. besonders in Ländern des Globalen Südens Menschenrechte verletzt und die Umwelt zerstört. Zusätzlich sind Menschen in diesen Teilen der Welt verstärkt von der Klimakrise betroffen, die durch unseren Rohstoffkonsum angeheizt wird. Auch sind Menschen in Ländern wie Ghana oder Nigeria den gesundheitlichen Folgen des giftigen Elektroschrotts ausgesetzt, der dort – oftmals illegal exportiert – auf den Müllkippen landet. Von den Gewinnen der globalen Elektronikkonzerne profitieren diese Menschen hingegen nicht.

© James-Martins_Mienbe_Amazonas_Brasilien_CC-BY-3.0_via-Wikimedia-Commons

Was heißt das für unsere Art zu konsumieren? Natürlich ist es immer sinnvoll sich zu fragen, ob ich die neue Smartwatch wirklich brauche, ich die Bohrmaschine nicht vielleicht bei meiner Nachbarin ausleihen oder zumindest eine gebrauchte kaufen kann. Sind Geräte aber erst einmal in unserem Besitz, kommt der Reparatur eine entscheidende Bedeutung zu, um dessen Lebensdauer zu verlängern. Die Lebensdauer allein bei allen Smartphones in der EU um ein Jahr bis 2030 zu verlängern, würde so viel CO2 einsparen, wie eine Million Autos jährlich ausstoßen. Die anderen vermiedenen negativen Folgen des Rohstoffabbaus, wie zerstörte Ökosysteme, verunreinigtes Trinkwasser, giftiger Staub oder gewaltsame Vertreibungen für neue Minenprojekte werden hierbei gar nicht betrachtet.

Julius Neu im Gespräch mit Charles Ikhem von Policy Lab Africa. Die NGO ist in der Reparaturbewegung Nigerias engagiert. Im Interview berichtet Charles Ikhem aus Nigeria von den Problemen mit Elektroschrott, dem politischen Einsatz für ein Recht auf Reparatur und der Ausbildung von Frauen zu Reparateurinnen.

Wir brauchen ein Recht auf Reparatur

Doch warum wird in Deutschland nicht einmal jedes vierte kaputte Elektrogerät repariert? Immerhin zeigen Untersuchungen wie z.B. die Studie der WERTEGARANTIEN Beteiligungen GmbH, dass eine breite Mehrheit ihre Geräte lieber reparieren als neu kaufen würde.

Umfragen (z.B. CIVEY, bund.de/Verwaltung digital) verdeutlichen, dass die Hindernisse fürs Reparieren vielfältig sind. Sie reichen von zu hohen Preisen über reparaturfeindliches Design bis hin zu fehlenden Ersatzteilen oder Reparaturanleitungen. Diese Hürden abzubauen ist ein politischer Kampf, der gegen gut organisierte wirtschaftliche Interessen geführt werden muss. Den Herstellern ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, die Produktzyklen immer weiter zu verkürzen und damit ihren Absatz zu steigern. Doch dagegen formiert sich eine Bewegung, die ein herstellerunabhängiges Recht auf Reparatur einfordert. Dafür notwendig sind ein möglichst langlebiges Produktdesign sowie verbindliche Anforderungen an die Reparierbarkeit. Schluss also mit verklebten Akkus und notwendigen Spezialwerkzeug! Es sollten allen Marktakteur*innen über die gesamte Nutzungsdauer Ersatzteile zu einem angemessenen Preis zur Verfügung gestellt werden. Smartphone-Displays, die mehrere hundert Euro kosten, stehen schließlich in keinerlei Verhältnis zu den Herstellungskosten. Und schließlich müssten Verbraucher*innen reparaturrelevante Informationen erhalten, indem sie beispielsweise über einen Reparatur-Index schon beim Kauf eines Produktes einschätzen können, wie es repariert werden kann. In Frankreich gibt es dazu bereits seit 2021 entsprechende Regelungen.

Unterschriftenübergabe am 17. Oktober an Bundesumweltministerin Steffi Lemke ©Chris-Grodotzki

Doch wie kommen wir in Deutschland zu einem Recht auf Reparatur? Viele politische Stellschrauben gibt es auf EU-Ebene, da Produktanforderungen den Binnenmarkt betreffen und dort geregelt werden. In den nächsten Jahren werden Ökodesign-Richtlinien für verschiedene Produktgruppen zumindest teilweise Fortschritte bringen. Viel geht in die richtige Richtung, bleibt aber hinter den Notwendigkeiten zurück. So enthält auch der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission zum „Recht auf Reparatur“ zwar sinnvolle Anforderungen an die Verfügbarkeit von Ersatzteilen, das Problem von Bezahlbarkeit und reparaturfeindlicher Praktiken von Herstellern wird dabei aber außeracht gelassen und besteht weiter. Andere fortschrittliche Regelungen haben lange Übergangsfristen. So dürfen erst ab 2028 Akkus nicht mehr fest verbaut werden.

Reparatur auf Bundes- und Landesebene

Statt auf die EU zu warten, könnte Deutschland in Sachen Reparaturförderung vorangehen. Immerhin bekennt sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag zur Senkung des Rohstoffverbrauchs und zum Recht auf Reparatur. Passiert ist bislang aber kaum etwas. Deshalb hat INKOTA-netzwerk e. V. gemeinsam mit dem „Runden Tisch Reparatur“ und 25 anderen Organisationen eine Petition gestartet, über 71.000 Unterschriften gesammelt und diese am 17. Oktober der Bundesumweltministerin Steffi Lemke übergeben. In der Petition wird ein bundesweiter Reparaturbonus gefordert, wie es ihn bereits in Thüringen oder Österreich gibt. Verbraucher*innen sollen 50 Prozent der Reparaturkosten bis zu 200 Euro erstattet bekommen. Weiter soll das Aktions- und Förderprogramm „Reparieren statt Wegwerfen“ endlich starten und die Bundesregierung sich auf EU-Ebene für verbesserte Reparaturbedingungen einsetzen. Bei der Übergabe wurde deutlich, dass die von der FDP regierten Ministerien (Justiz und Finanzen) Fortschritte blockieren. Es braucht also weiterhin zivilgesellschaftlichen Druck.

Immerhin spielt das Reparaturthema in der Berliner Landespolitik eine Rolle. Das wird höchste Zeit, schließlich machen Ehrenamtliche in über 50 Berliner Repair-Cafés (siehe Netzwerk Reparatur-Initiativen) seit Langem vor, wie gelebte Reparaturkultur aussehen kann. In diesem Jahr startete ein Projekt zum Aufbau eines Reparaturnetzwerkes, damit Berliner*innen zukünftig leichter qualitativ hochwertige Reparaturbetriebe in ihrem Kiez finden können. Auch soll ab nächstem Jahr ein landesweiter Reparaturbonus eingeführt werden.

Doch egal ob auf EU-, Bundes- oder Landesebene: Die Forderung für ein Recht auf Reparatur ist ein wichtiger Schritt, um unsere global ungerechte Art des Wirtschaftens und unseren Umgang mit Ressourcen zumindest etwas zu reparieren.