Im April 2021 wurden 1.162 Berliner Wahlberechtigte in einer Telefon- und Online-Befragung von infratest dimap im Auftrag des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER) befragt. Die Schwankungsbreite beträgt 2 bis 3 Prozentpunkte.
Frage: Würden Sie sagen, an die Zeit und die Verbrechen des deutschen Kolonialismus wird in Berlin zu viel erinnert, in angemessenen Umfang erinnert oder zu wenig erinnert?
Die Hälfte der Berliner*innen (49%) findet, dass in Berlin zu wenig an die Verbrechen des deutschen Kolonialismus erinnert wird. Nur ein Viertel der Berliner*innen (27%) ist zufrieden mit der Berliner Erinnerungskultur in Bezug auf den Kolonialismus und nur 9% findet sie zu viel. Dabei bewerten insbesondere jüngere Menschen (18 bis 39 Jahre) die Erinnerung an den deutschen Kolonialismus als unzureichend.
Hintergrundinformationen:
Berlin kommt als damalige Hauptstadt des Deutschen Reiches eine besondere historische Verantwortung zu: Hier fanden 1884/85 die Afrika-Konferenz und 1896 die Kolonialausstellung mit ihrer „Völkerschau“ im Treptower Park statt. Von hier aus wurden die deutschen Kolonien annektiert, verwaltet und regiert, hier planten die Nationalsozialisten ein neues Kolonialreich in Afrika. Bis heute finden sich noch viele koloniale Spuren auf Straßenschildern, Denkmälern oder in ehemaligen Gebäuden, die die Kolonialzeit verherrlichen. Für die Öffentlichkeit nicht zugänglich lagern zusätzlich ca. 500.000 Objekte und knapp 10.000 menschliche Gebeine aus dem Globalen Süden in den Depots der Staatlichen Museen zu Berlin und in der Charité.
Bisher kehren nur wenige Orte in Berlin die Perspektive der Erinnerung um und ehren den Widerstand gegen den Kolonialismus oder gedenken der Opfer des deutschen Kolonialismus:
Zukünftige Orte:
Informationen zu kolonial belasteten Straßennamen gibt es im BER-Dossier: Stadt neu lesen. Koloniale und rassistische Straßennamen in Berlin (2016)
Im August 2019 hat das Land Berlin die Entwicklung eines gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzepts zur Geschichte und zu den Folgen des Kolonialismus des Landes Berlins beschlossen (DS 18/1788). Die dafür vom Land Berlin beim Verein Decolonize Berlin eingerichtete Koordinierungsstelle erarbeitet ein solches Konzept unter der Partizipation aller beteiligten Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und städtischen Institutionen.
Frage: Sollte die Zeit des deutschen Kolonialismus verpflichtender Bestandteil des Berliner Schulunterrichts sein?
Die Mehrheit der Berliner*innen (76%) wünschen sich, dass der deutsche Kolonialismus im Schulunterricht thematisiert wird – und zwar verpflichtend.
Hintergrundinformationen:
Laut §10 des Berliner Schulgesetzes legt der Berliner Rahmenlehrplan die Kompetenzen, die Schüler*innen lernen sollen, und verbindlichen Lehninhalte, die vermittelt werden sollen, fest. Über den Rahmenlehrplan erfüllt Schule ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag. Im Berliner Rahmenlehrplan Jahrgangsstufe 1 bis 10 für Geschichte ist das Thema „Europäische Expansion und Kolonialismus“ als Wahlpflichtmodul in den Klassenstufen 7 und 8 aufgeführt. Es muss daher nicht verpflichtend behandelt werden.
Frage: Es wird seit längerem diskutiert, für die Opfer des deutschen Kolonialismus ein Mahnmal in Berlin zu errichten. Wären Sie grundsätzlich für oder gegen die Errichtung eines solchen Mahnmals in Berlin?
Die Mehrheit der Berliner*innen (55%) ist für die Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des deutschen Kolonialismus in Berlin. 34% lehnen dies ab. Die Zustimmungsrate ist in der Altersklasse der 18- bis 39-Jährigen mit 71% besonders hoch.
Hintergrundinformationen:
Mehr als 30 Millionen Afrikaner*innen wurden Opfer von Versklavung und kolonialer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bis zu 400.000 afrikanische Menschen haben die deutschen Truppen in Namibia (Herero-Aufstand 1904) und in Tansania (Maji-Maji-Krieg 1905-1907) ermordet. Hunderttausende Menschen afrikanischer Herkunft sind auf Seiten der Alliierten für die Befreiung Deutschlands vom Naziregime gefallen. Schwarze Deutsche wurden von den Nazis zwangssterilisiert oder in Konzentrationslagern ermordet.
Viele Schwarze, afrikanische, postkoloniale und entwicklungspolitischen Gruppen fordern die Errichtung einer Gedenkstätte oder eines Lern- und Erinnerungsortes für die afrikanischen und Schwarzen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt mit einem jährlichen Gedenkmarsch im Februar.
Frage: Sollten Bildungsprojekte und Vereine, die die Zeit des deutschen Kolonialismus aufarbeiten und über dessen wirtschaftliche und soziale Folgen informieren, durch das Land Berlin finanziell stärker gefördert werden?
Die Mehrheit der Berliner*innen (53%) wünscht sich eine höhere finanzielle Förderung für Bildungsprojekte, die den deutschen Kolonialismus und seine Folgen aufarbeiten. 32% findet dies nicht nötig.
Hintergrundinformationen:
Seit 2020 finanziert die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie „Bildungsarbeit zu Kolonialismus und Verantwortung in Berliner Schulen“ (BIKO) von Vereinen mit 100.000 Euro jährlich. Das Programm soll einen Beitrag dazu leisten, Schüler*innen und schulische Akteur*innen in Berlin zur Auseinandersetzung mit der Rolle und historischen Verantwortung Berlins und Deutschlands sowie zu kolonialen Kontinuitäten anzuregen.
Die Mehrheit der Berliner*innen spricht sich für eine umfassende Auseinandersetzung mit den
Verbrechen des deutschen Kolonialismus in der Öffentlichkeit und Schule aus. Dazu zählt die
Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Kolonialismus (55%), die verpflichtende Behandlung
im Schulunterricht (76%) und eine stärkere finanzielle Förderung für Bildungsprojekte zum Thema
(53%).
Berlin (23.08.2021). Zu diesen Ergebnissen kommt die repräsentative Umfrage „Aufarbeitung des Kolonialismus in Berlin“, die der Berliner Entwicklungspolitische Ratschlag (BER) gemeinsam mit dem Bündnis Decolonize Berlin anlässlich des Internationalen Tages der Erinnerung an den Versklavungshandel und seine Abschaffung am 23. August 2021 veröffentlicht hat.
„Die Umfrage zeigt, wie wichtig den Berliner*innen die Aufarbeitung des Kolonialismus in Berlin ist. Derzeit klären Schulen zu wenig dazu auf und aus diesem Grund muss das Land Berlin dekoloniale
Bildungsprojekte und Globales Lernen viel stärker fördern“, sagt BER–Sprecher Narcisse Djakam vom
Integritude e.V.
„Seit langem wird ein zentrales Mahnmal für die Opfer von Kolonialismus, Versklavung und
rassistischer Gewalt von Schwarzen und afrikanischen Vereinen gefordert. Jetzt solidarisiert sich
auch die Mehrheit der Berliner*innen mit dieser Forderung. Das Land Berlin muss handeln“, so
Michael Küppers–Adebisi, für die Gruppe AFROTAK TV CyberNomads im Vorstand von Decolonize
Berlin.
Im April 2021 wurden 1.162 Berliner Wahlberechtigte in einer Telefon– und Online–Befragung von
infratest dimap im Auftrag des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags befragt.
Die Ergebnisse im Detail und eine Auswertung aller Fragen mit Hintergrundinformationen finden Sie
hier: https://eineweltstadt.berlin/publikationen/studien–und–umfragen/
Kontakt für Medien:
Sylvia Werther, stellvertretende Geschäftsführerin BER: werther@eineweltstadt.berlin
Michael Küppers–Adebisi, Vorstand Decolonize Berlin: vorstand@decolonize–berlin.de
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