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Kolonialismus und das Wirtschaftssystem

Koloniale Kontinuitäten in der Wirtschafts- und Rohstoffpolitik

Im Kolonialismus haben Europäische Schifffahrtsunternehmen Tauschwaren aus Europa auf den afrikanischen Kontinent gebracht, um von dort versklavte Menschen in die Amerikas zu verschleppen und landwirtschaftliche Produkte nach Europa zu bringen. Europäische Handelshäuser, Banken und Versicherungen bauten darauf ihren Reichtum auf. Aktuelle Lieferketten und Rohstoffpolitiken funktionieren weiter mit diesem kolonialen Prinzip: Während die Schäden für Rohstoffabbau im Globalen Süden verbleiben, erfolgt die Wertschöpfung im Globalen Norden. Bis heute kämpfen indigene Gemeinschaften und Schwarze Menschen in Lateinamerika, in asiatischen und afrikanischen Ländern um ihre Territorien und Ressourcen.

Serge Palasie, Koloniale Kontinuitäten als SDG-Bremse? Wurzeln globaler Ungerechtigkeit. In: Mainstreaming Decolonize! Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungspolitik. BER (2022).

Schwarze Frauenbewegungen wie der Afrofeminismus bieten das Potenzial der Dekolonisierung des Feminismus, weil sie Auswirkungen kolonialer Gewalt, wie Versklavung und kapitalistische Ausbeutung, sichtbar machen und sich an die historischen, sozialen, kulturellen und sogar religiösen Realitäten von Frauen weltweit anpassen können.

Radwa Khaled-Ibrahim und Karoline Schaefer, Feminismus von oben. (Un-)Möglichkeiten feministischer Entwicklungspolitik. In: Mainstreaming Decolonize! Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungspolitik. BER (2022).

Koloniale Wirtschaft

Im Kolonialismus wurden Land, Rohstoffe und Ressourcen geraubt, Menschen für den wirtschaftlichen Nutzen der Kolonialmächte und den Konsum „ihrer“ Bevölkerungen ausgebeutet. Der  transatlantische Versklavungshandel zwischen dem europäischen, afrikanischen und  (latein-)amerikanischen Kontinent hat dies ermöglicht. Für das europäische koloniale Projekt bedurfte es darüber hinaus eines Netzwerkes an europäischen Handelshäusern, Schifffahrtslinien, Versicherungen und Kreditinstitutionen. Die bekannteste deutsche Reederei, die am Kolonialismus verdiente, ist die Woermann-Linie: Bis heute sind viele Straßen Deutschlands und auch eine in Berlin, nach dem Koloniallobbyisten Adolph Woermann benannt.

Die finanziellen Geschäftsbeziehungen erledigt zum Beispiel die Deutsche Bank. Sie war die wichtigste deutsche Finanzinstitution zur wirtschaftlichen Ausbeutung in den deutschen Kolonialgebieten. Sie investierte aber auch in Kolonien anderer Kolonialmächte und profitierte von kolonialen Geschäften. Landwirtschaftliche Produkte, Kaffee und Gewürze, so genannte Kolonialwaren, wurden in Kolonialwarenläden verkauft. 540.000 solcher Art gab es 1914 in Deutschland. Händler schlossen sich in der „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“, heute EDEKA, zusammen, um bessere Rahmenbedingungen für den Verkauf zu organisieren. 

Importgüter aus Deutsch-Südwestafrika (dem heutigen Namibia) waren zum Beispiel: Diamanten, Kupfererz, Blei, Wolle, Harze, Gerbstoffe und Felle. Diese Güter wurden über Eisenbahnnetze, die in den Kolonien zum Beispiel von der Otavi Minen- und Eisenbahn-Gesellschaft (gegründet 1900 in Berlin, bis heute als Otavi Mineralien GmbH aktiv) gebaut wurden, an die Häfen der Küsten Afrikas gebracht. Die Aktionäre dieser Gesellschaft erhielten jährlich 10% Dividende (ca. 6 Millionen Reichsmark). Aber auch Güter aus Lateinamerika wurden im Kolonialismus zum Schaden von Menschen und Natur geraubt. Firmen in Deutschland, die bis heute aktiv sind, haben die Güter weiterverarbeitet, z.B. die Norddeutsche Affinerie AG (seit 2008 Aurubis AG). Eisenerze aus Mittel- und Südamerika sicherten die Elektrifizierung und die Entwicklung der Telefonie ab 1890 in der Stadt Berlin. Kautschuk aus Lateinamerika diente der industriellen Revolution in ganz Europa. 

Bis heute bauen globale Lieferketten und Rohstoffpolitiken auf diesem kolonialen Prinzip auf: Während die Schäden für extensive Landwirtschaft und den Rohstoffabbau im Globalen Süden verbleiben, erfolgt die Wertschöpfung und der Konsum im Globalen Norden. Unternehmen im Globalen Norden und Staaten, die damals vom Kolonialismus profitierten, haben bis heute diesen „Wettbewerbsvorteil“. Aber damals wie heute wird Widerstand gegen Ausbeutung organisiert. Ob in den Quilombos, den Vollversammlungen von Aty Guasu der Guarani Kaiowá oder dem historischen Aufstand der Herero und Nama im heutigen Namibia.

Mit Daten aus einer Recherche des BER-Mitglieds PowerShift



Podcast des BER-Mitglieds FDCL

Curare, Kautschuk, Stevia – eine koloniale Spurensuche über das Pflanzensammeln

Recherche des Projekts „Intervention Koloniale Zwangsarbeit“

Die Deutsche Bank

Informationen über das Land Berlin

Was ist Faires Wirtschaften?

Recherche des des Bildungsbüros Hamburg

Kupfererz aus Südamerika und der Otavi-Mine

Bauxit als neue Kolonialware

In Guinea liegen die meisten Bauxitvorkommen der Welt. Bauxit ist ein wichtiges Gestein, aus dem Aluminium hergestellt wird. Und Aluminium landet in Verpackungsmaterial, Kosmetika oder wird für Rohre und Bleche beim Bauen verwendet. Es ist damit ein wichtiges Produkt. Durch die Erweiterung einer Mine in Guinea erhält die in Deutschland ansässige Aluminium Oxid Stade (AOS) Bauxit zur Weiterverarbeitung. Deutschland hat dieses Projekt mit einem Kredit gegen ein wirtschaftliches Ausfallrisiko unterstützt. Für die Minen wurden Dörfer enteignet, Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und die Natur zerstört. Guinea ist der größte Bauxit-Produzent, der am wenigsten davon selbst verarbeitet. In der Wertschöpfungskette macht der Preis für Bauxit lediglich 1% aus. Zur Geschichte Guineas: Deutschland stellte 1882 koloniale Ansprüche an Kapitaï und Koba, Regionen, die heute zu Guinea gehören, und trat diese wenige Jahre später an Frankreich ab.

Daten basieren auf einer Recherche des BER-Mitglieds PowerShift 



Inaye Gomes Lopes, Der Kampf um Territorien. Zwei Frauen aus Abya Yala im Gespräch. In: Mainstreaming Decolonize! Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungspolitik. BER (2022).

Raub von landwirtschaftlichen Flächen

Bereits in den 1840er Jahren begann die Rheinische Missionsgesellschaft mit christlichen Missionierungen im Südlichen Afrika und entsandte weiße deutsche Pfarrer in das heutige Namibia, die Missionsschulen in ländlichen Gebieten bauten. Mission war mit dem europäischen kolonialen Projekt eng verbunden und gab diesem ein religiöses Fundament. Es baute auf der rassistischen Ideologie auf, dass Menschen afrikanischer Herkunft „zivilisiert“ werden sollten und trieb damit Herrschaft, Zwang und Ausbeutung der kolonisierten Menschen voran. Deutsche Kolonialgesellschaften förderten darüber hinaus die systematische Ansiedlung weißer deutscher Menschen in den deutschen Kolonien, die mit Massenenteignungen einherging. 1903 lebten 2.200 weiße Deutsche in „Deutsch-Südwestafrika“. Von 1904 bis 1908 verübten deutsche Truppen einen Genozid an den Herero und Nama und ermordeten bis zu 95.000 Menschen afrikanischer Herkunft. 1914 lebten bereits 12.300 weiße Deutsche im heutigen Namibia. Sie besaßen 11.490 Hektar der landwirtschaftlichen Fläche. Diese ungerechte Landpolitik und Segregationspolitik wurde von der ebenfalls kolonialen südafrikanischen Regierung (zuerst niederländische Siedler, dann Großbritannien) fortgeführt, indem weitere weiße Siedler in das heutige Gebiet Namibias gebracht worden. Bis heute baut die ungerechte Verteilung von Land zwischen weißen und Schwarzen Menschen in Namibia auf der Siedlungspolitik des deutschen Kaiserreiches auf. Als Namibia 1990 unabhängig wurde, besaßen weiße Menschen ca. 50% des Landes, obwohl sie weniger als 5 Prozent der Bevölkerung ausmachten. 

Im deutsch-namibischen „Versöhnungsabkommen“ wird die Frage nach der aktuellen Verteilung des Landes in Namibia und auch nach Reparationen nicht gestellt. Deutschland versucht Wiedergutmachung über Entwicklungszusammenarbeit und möchte 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre (weniger als die letzten 30 Jahre) im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit an Namibia zahlen. Nicht nur die Opferverbände in Namibia, sondern auch diasporische, Schwarze und entwicklungspolitische Gruppen in Deutschland, kritisieren das Abkommen als unzureichend.

Zum Weiterlesen:

Romie Nghitevelekwa: Namibia nach 30 Jahren Unabhängigkeit. Die Namibier*innen warten weiter auf Umverteilungsgerechtigkeit

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit von freiwilligen
Entschädigungszahlungen an Herero und Nama in Namibia (2021)

Sima Luipert, No restorative justice. Widersprüche im deutsch-namibischen „Versöhnungsabkommen“. In: Mainstreaming Decolonize! Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungspolitik. BER (2022).

Für die Wirtschaft werden Rohstoffe abgebaut, fossile Brennstoffe wie Braunkohle oder Erdöl genutzt oder extensive Landwirtschaft betrieben: all das feuert die Klimakatastrophe an. Dabei hat die Zerstörung der Umwelt nicht erst mit der Industrialisierung begonnen. Schon der Kolonialismus hatte die Ausbeutung von Rohstoffen und der Natur zum Ziel. Über Klimagerechtigkeit und Dekolonisierung sprechen Aktivistinnen des Black Earth Collectives:

Weitere Informationen zum Zusammenhang vom Handeln des Landes Berlin und Klimaschäden im Globalen Süden gibt es in der BER-Reportage zu Klimagerechtigkeit

Klimagerechtigkeit dekolonial – „KlimaDeSol“

KlimaDeSol setzt dem weißen, elitären und westlich dominierten Klimakonzept ein dekoloniales, ganzheitliches und intersektionales Narrativ entgegen. In den Bildungsmaterialien werden neun Porträts von BIPoC-Klima-Aktivist*innen und Kollektiven vorgestellt. „Dekolonial“ beinhaltet hier die konsequente Kritik an Macht und rassistischer Unterdrückung in Bezug auf die historische und gegenwärtige koloniale Art und Weise, diesen Planeten zu bewohnen, aus der widerständigen Perspektive von Menschen aus dem Globalen Süden und Norden. Das Projekt KlimaDeSol ist ein Projekt von glokal e.V.

Wissenschaft, Wirtschaft und Kolonialismus

Die Wissenschaft legitimierte den Kolonialismus, ob mit der „Rassen-Theorie“ zum Nachweis der Unterlegenheit von Schwarzen gegenüber weißen Menschen oder mit der Medizin zur vermeintlichen Bekämpfung von Krankheiten in den Kolonien. Sie brachte darüber hinaus Wissensstände über die Menschen und ihre Arbeitskraft, über Vegetation und das Klima für die Plantagenwirtschaft, über die Infrastruktur und Möglichkeiten von Schiffbarkeit von Flüssen oder Zulieferstrecken nach Europa hervor. Auch viele deutsche Wissenschaftler reisten im Auftrag verschiedener europäischer Kolonialmächte in unterschiedliche Kolonien, um die Ausbeutung in den Kolonien durch die Kolonialmächte zu vergrößern. Bis heute werden sie als „Entdecker“, „Afrika-Forscher“ oder „Forschungsreisende“ verharmlost. Dies verschweigt, dass ihre Tätigkeiten die ökonomische Verwertung von Mensch und Natur im Kolonialismus und damit auch koloniale Verbrechen erst ermöglicht hat.

Das damals erarbeitete Wissen über die „Anderen“, über die „exotische Natur“ und im rassistischen Diskurs „Unterlegenen“ prägt bis heute insbesondere die wissenschaftlichen Disziplinen Geographie und Geologie, Ethnologie und Anthropologie, Länderwissenschaften (wie Afrikanistik, Lateinamerikanistik, Asienwissenschaften, Orientalistik), Botanik, Biologie und Medizin.





Zum Weiterlesen:

Zur Kolonialität von wissenschaftlichen am Beispiel Göttingen

Jessica Fernández, Koloniale Aneignung. Indigenes Wissen über Pflanzen. In: Mainstreaming Decolonize! Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungspolitik. BER (2022).