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Über den Toilettenschüsselrand hinaus in die Welt schauen

Berliner Schulklos und globale Gerechtigkeit

Die aktuell veröffentlichte Studie der BER-Mitgliedsgruppe German Toilet Organization (GTO) zum Zustand Berliner Schultoiletten wurde von der Presse stark aufgegriffen. Der GTO-Geschäftsführer Thilo Panzerbieter erläutert den Ansatz der Organisation und wie sie die Sanitärversorgung hierzulande und im Globalen Süden verbessern möchte.

Was hat die Situation der Berliner Schultoiletten mit globaler Gerechtigkeit zu tun?

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die SDGs, gelten ja für alle Länder der Welt und demnach auch für Deutschland. Allerdings berichtet Deutschland ganz pauschal an WHO und UNICEF zu SDG 6, Wasser- und Sanitärversorgung sowie Hygiene, dass alle relevanten Indikatoren hierzulande zu 100 Prozent erfüllt seien – auch die für Schulen. Die Ergebnisse unserer aktuellen Studie „Toiletten machen Schule“ machen deutlich, dass das an Berliner Schulen nicht der Fall ist. Im Alltag erkennt man das daran, wenn beispielsweise Seife fehlt.

SDG6 ist also der Hauptfokuss Eurer Arbeit?

Ja. Die GTO hat sich ursprünglich gegründet, um insbesondere im Globalen Süden einen Beitrag zubesserer Sanitärversorgung zu leisten. Gleichzeitig erhielten wir viele Anfragen von Schulleitungen und Eltern aus ganz Deutschland. Wir haben daraufhin seit 2009 entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Rahmen unseres Projekts „Klobalisierte Welt“ an Schulen in Berlin und im Umland durchgeführt. Durch den Austausch mit Schüler*innen mussten wir feststellen, dass sehr viel im Argen liegt. 2012 haben wir begonnen, Schulen bezüglich ihrer Schultoiletten zu unterstützen und im schulischen Umfeld Aktionen initiiert. Wenn wir mit Politiker*innen im Gespräch waren, hieß es häufig, dass man robuste Daten brauche – und die liegen nun vor.

Darum also die Studie „Toiletten machen Schule“, deren aktuelle Veröffentlichung für viel Wirbel gesorgt hat…

Thilo Panzerbieter, Geschäftsführer ©German Toilet Organization

Ja, wir haben die Erhebung zusammen mit der Universität Bonn durchgeführt und untersucht, wie die Situation an Berliner Schulen ist. Besonders interessant war das Erkennen von Zusammenhängen zwischen Messgrößen, die den Zustand sowie die Wahrnehmung der Schultoiletten beschreiben, und konkreten Maßnahmen der Schulen. Daraus konnten wir Empfehlungen für Politik und Schulen ableiten.
Die Veröffentlichung war ein großer Erfolg. Tageszeitungen, Radiosender, das Fernsehen, von der rbb-Abendschau bis zu den ZDF-Kindernachrichten und sogar die Print-Edition des SPIEGEL haben darüber berichtet. Leider konzentrierten sich viele Medien, wie so oft, nur auf den Skandal und haben geschildert, wie groß die Probleme sind. Doch einige, darunter auch der SPIEGEL, haben aufgegriffen, was wir mit der Studie erreichen wollten. Wir möchten einen positiven Impuls setzen und Anknüpfungspunkte anbieten, wie man die Versorgung verbessern kann. Aus dem Prozess ist auch ein Dialog mit dem Berliner Bildungssenat entstanden.

Was sind die wichtigsten Kernergebnisse der Studie?

Eine wichtige Empfehlung ist, dass es einen zweiten Reinigungszyklus im Laufe des Schultages geben sollte, damit dadurch nicht nur Sauberkeit erhöht, sondern auch Vandalismus minimiert werden kann. Das hat damit zu tun, dass Reinigungskräfte dann für die Schüler*innen sichtbar werden, der Toilettenbereich mit Gesichtern verknüpft wird, dadurch die Wertschätzung wächst und auch die Präsenz von Erwachsenen in den Räumlichkeiten eine Wirkung hat. Weiterhin zeigt die Studie verschiedene Korrelationen auf: wenn Toilettenpapier vorhanden ist, findet einerseits weniger Vandalismus statt und andererseits bewerten die Schüler*innen ihre Toiletten besser.

Und es wird deutlich, dass Partizipation von allen Akteur*innen und deren gute Zusammenarbeit zu den besten und nachhaltigsten Lösungen führt. Diese Erfahrung machen wir auch in unseren Projekten der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Die Schüler*innen sollten ermutigt werden, Mängel zu melden und es muss klar sein, wer die Probleme dann behebt. Die Einbindung ist auch wichtig in Hinblick auf die Planung baulicher Veränderungen oder die Verschönerung der Räume. Das sind Empfehlungen aus unserer Studie.

Wer ist aus deiner Sicht jetzt gefragt und welche Rolle nehmt Ihr ein?

Die Studie appelliert, mehr Geld für Reinigungszyklen zur Verfügung zu stellen, welches laut dem Staatssekretär für Schulbau und Schuldigitalisierung Dr. Kühne schon bereitsteht. Weiterhin wird Schulleitungen und Lehrkräften nahegelegt, Schüler*innen einzubinden, in den Dialog zu gehen und Meldeketten aufzubauen, damit Mängel schnell vor Ort behoben werden können.

Die GTO selbst wird wieder zum bundesweiten Wettbewerb „Toiletten machen Schule®“ aufrufen, den wir in der Vergangenheit bereits zwei Mal durchgeführt haben. Dabei werden Schulen prämiert, die Empfehlungen aus der Studie am besten umsetzen.

Gibt die Studie auch Impulse für eure Projektarbeit im Globalen Süden?

Ich glaube, dass wir aus der Studie viele Erkenntnisse in unsere Auslandsarbeit und auch in unsere Fortbildungsarbeit für NGOs in Deutschland und im Globalen Süden einfließen lassen können. Es ist bei der GTO immer so: die Arbeit im Ausland inspiriert unsere Arbeit im Inland und umgekehrt.

Aktuell sind wir auch auf der Suche nach neuen Partnern für weitere Wettbewerbsprojekte in anderen Ländern. Unter dem Namen „Toilets Making the Grade® und in Zusammenarbeit mit der GIZ wurde der Wettbewerb bereits in Jordanien, Pakistan und Uganda durchgeführt und wir konnten damit über 500.000 Schüler*innen erreichen.

Wie stellt ihr den Zusammenhang her zwischen der Situation hier und im Globalen Süden, wenn Ihr Bildungsarbeit macht?

Unser entwicklungspolitisches Bildungsprojekt „Klobalisierte Welt“ bricht Tabus. Seit 2009 führen wir Projekttage durch. Wir bieten aber auch unsere Materialien an oder veranstalten Fortbildungen für Pädagog*innen. Wir analysieren dabei, wie sich die eigene Situation vor Ort verbessern lässt und welche Parallelitäten es mit globalen Problemen gibt. Wir versuchen einen Perspektivwechsel hinzukriegen und die aktuelle Studie untermauert diesen Ansatz.

© German Toilet Organization

Viele Schüler*innen gaben bei der Erhebung z.B. an, dass der Ort für sie entweder wichtig oder sehr wichtig sei, doch dass sich niemand darum kümmern und es keine Wertschätzung geben würde. An diesem Punkt wird es spannend, über den Toilettenschüsselrand hinaus in die Welt zu schauen. Denn auch in vielen Ländern des Globalen Südens genießt das Thema wenig Priorität und ein Drittel der Schulen weltweit hat gar keine Sanitärversorgung. Wir erarbeiten dann den Zusammenhang mit anderen Problemen: fehlende Sanitärversorgung führt zu weniger Bildungschancen, gerade von Mädchen im Menstruationsalter. Es führt dazu, dass mehr Menschen krank sind, dass Menschen eher in Armut leben, weil sie Unterricht verpassen und in der Konsequenz Einkommenschancen nicht nachgehen können. Es führt zu mehr Durchfall und Hunger. Abwasser, das ungeklärt in Flüsse und Seen fließt, trägt zur Zerstörung der Umwelt und von Ökosystemen bei. Am Ende lernen die Schüler*innen nicht nur viel über die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen SDGs, sondern können die eigene Schultoilette mehr schätzen – so lässt sich an Schulen etwas positiv bewegen.

Es geht also darum, die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen: dass sich Kinder überall auf der Welt gute Schultoiletten wünschen und fast überall auf der Welt die Politik und die Erwachsenen dieser Situation nicht genug Aufmerksamkeit schenken, dass sich überall auf der Welt Schüler*innen an diesem Ort fehlverhalten, weil es halt der erste Ort in der Gesellschaft ist, wo man ohne Erwachsene unter sich mit öffentlichem Eigentum umgeht…. und dass man aber gemeinsam überall auf der Welt durch gemeinsames Handeln und Absprachen etwas verbessern kann. Es ist spannend zu erkennen, dass es Parallelen gibt und mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.

Und welche Hebelwirkung hat das Thema für Transformationsprozesse?

In unseren Fortbildungen werden sich Lehrkräfte bewusst, dass Toilettenräume in der Schule der erste Ort sind, in denen Kinder unbeaufsichtigt mit öffentlichem Gut umgehen. Insofern muss ihnen durch Lehrer*innen gut vermittelt werden, wie man etwas behandeln sollte, das uns allen gehört und dass jede und jeder zu der Situation etwas beitragen kann. Das hat transformatives Potential.

My School Toilet puppet theatre at Word Water Day 2010 in Philippines Cagayan de Oro
© SuSanA Secretariat_CC BY 2.0_ via Wikimedia Commons

Und in Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) kann ich sagen: Der Zugang zu Wasser- und Sanitärversorgung ist ein Menschenrecht. Die Versorgung wirkt sich auf ganz viele Lebensbereiche aus und hat sehr großes Potenzial für nachhaltige Entwicklung. Leider werden in der EZ Projekte für Sanitärversorgung kaum nachgefragt. Zu den Gründen gehört neben dem Tabu und fehlenden politischen Willen auch die Unsichtbarkeit von Keimen – Menschen wissen oftmals nicht, was ihre Gesundheit bedroht.

Dieser Mangel an Aufmerksamkeit drückt sich auch auf internationaler Ebene aus. In diesem März hat nach 44 Jahren erstmals wieder eine UN-Wasserkonferenz stattgefunden. Das ist vergleichbar mit der COP und ein Treffen von Regierungen, die auf höchster Ebene über die Situation in ihren Ländern berichten und Commitments für die Zukunft aussprechen. Wenn es allerdings keinen UN-Mechanismus gibt, der diese Ergebnisse nachhält und es keine ambitionierte Nachfolgekonferenz gibt, dann interessiert das niemanden. Hier sollte Deutschland, als einer der größten Geber in dem Bereich, eine wichtige Rolle spielen. Das Thema braucht dringend eine Verankerung in einen hochrangigen Prozess auf UN-Ebene. Sonst verändert sich die globale Situation nicht. Und man muss sich klarmachen: 3,5 Milliarden Menschen haben keine sichere Sanitärversorgung und 2,2 Milliarden keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser.

Im August fand die jährliche Weltwasserwoche in Stockholm statt. Welche Bedeutung hat diese internationale Konferenz – auch für Deine Arbeit?  

Auf der Stockholm-Weltwasserwoche tauschen sich UN-Organisationen sowie wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Organisationen einmal im Jahr aus. Es ist die größte Fachkonferenz zu dem Thema. Als Vertreter der GTO hatte ich die Chance, dort auf unsere aktuelle Studie hinzuweisen.

Wenn man mit Politiker*innen aus dem Globalen Süden spricht und von Erfahrungen aus dem eigenen Land berichten kann, entsteht ein sehr authentischer Dialog. Man redet nicht über die Probleme der anderen, sondern über aktuelle Daten zur Situation in Berlin. Da wir als GTO unser erfolgreiches Wettbewerbsformat in die Welt tragen möchten, habe ich versucht mit potentiellen Partner*innen ins Gespräch zu kommen. Hier sind einige interessiert, aber es ist natürlich ein langwieriger Prozess, größere Projekte anzubahnen.

Übergeordnet war die Meinung in den Konferenz-Diskussionen einhellig, dass das Thema auf UN-Ebene institutionalisiert verankert werden muss. Das ist auch das politische Ziel der GTO und uns wäre es wichtig, wenn sich Deutschland ebenfalls für dieses Ziel einsetzt.

Die GTO veranstaltet am 20.09.2023 von 14-18 Uhr eine Online-Lehrkräftefortbildung im Rahmen der Regionalen Fortbildungen Berlin/Brandenburg unter dem Titel „KLObales Lernen in der Schule“.