Startseite / 24/7 Berlin Global Gerecht

24/7 Berlin Global Gerecht –           Gemeinsam die Stadt verändern

BER-Konferenz zur global gerechten Stadtpolitik

Vergangene Veranstaltung am 20. September 2024

24/7 – Der BER, seine Mitglieder und Verbündete arbeiten seit Jahren und rund um die Uhr gemeinsam an der Vision der Eine Welt Stadt Berlin, einer global gerechten, antirassistischen und nachhaltigen Stadt. Uns leitet die Frage: Wie verändern wir gemeinsam unsere Stadt? Mit dieser Frage engagieren wir uns für eine Entwicklungspolitik, die gemeinsam mit Akteur*innen in der Stadt, globale Ungerechtigkeiten, die durch Rassismus, Kapitalismus, Patriarchat und Kolonialismus geprägt sind, abbauen möchte.

Für die BER-Konferenz am 20. September 2024 haben wir Akteur*innen aus unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Bereichen eingeladen, mit uns Strategien für eine transformierte Stadt zu diskutieren sowie Beispiele und Bündnisse aus der Praxis zu teilen. Daraus entstanden zwei Fachpanels, zehn Workshops, neun Gesprächsforen, drei Safer Spaces und drei Rundgänge. Wir bedanken uns bei den 30 Berliner und internationalen Partner*innen aus Zivilgesellschaft und Verwaltung, die dies möglich gemacht haben.

Digitale Publikation zur Konferenz

Diese Dokumentation soll den Leser*innen Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Sie dient in einer ungerechten Welt, in der Mensch und Natur
ausgebeutet werden und repressive Ansätze erstarken, als Ermutigung und Inspiration, um dem etwas entgegenzusetzen. In den verlinkten Reflektionsgesprächen mit unseren Partner*innen findet ihr Impulse aus den Aktivitäten, Ideen für die Arbeitspraxis sowie Anregungen für den BER als solidarisches Netzwerk für die weitere Zusammenarbeit. Im ersten Teil stehen faire Ökonomien und Kommunen sowie globale Partnerschaften im Vordergrund. Im zweiten Teil werden Dekolonisierung, demokratische Beteiligung und Selbstorganisation besprochen. Wir bedanken uns bei allen, die für diese Publikation ihre Expertise und Reflektionen mit uns geteilt haben.


🎤 Orsolya Zillahy | Translokale und transkulturelle Nachbarschaftsräume – Wie gestalte ich Gemeinwesenarbeit global gerecht?

Interview mit Orsolya Zillahy

Veranstalter: Nachbarschaftshaus am Körnerpark

Menschen in den Kiezen Berlins bringen häufig vielfältige Identitäten, kulturelle Zugehörigkeiten und soziale Praktiken mit, die nicht immer wahrgenommen werden. Auch die Verbindungen zu ihren Herkunftsländern und ihren vielfältigen sozialen Beziehungen über nationalstaatliche Landesgrenzen hinweg bilden die Realität vieler Menschen, die zu Diasporagemeinschaften gehören; und welche für Außenstehende nicht immer sichtbar sind. Diese Unsichtbarkeit beruht oft auf monokulturellen (weiß geprägten) Voraussetzungen. Wie können wir die Arbeitspraxis in lokalen Foren wie Nachbarschaftshäusern, Mehrgenerationenhäusern, religiöse Gemeindehäuser und anderen Formen von Nachbarschaftstreffs verändern, sodass translokale und globale Themen stärker berücksichtigt werden und dadurch einen Perspektivwechsel erreicht wird?

🎤 Jan Dunkhorst | Die Spree liegt amAzonas: Vertreter*innen der indigenen Gemeinschaft der Munduruku über Klimagerechtigkeit und Partnerschaftsarbeit

Interview mit Jan Dunkhorst

Veranstalter: Initiative Berlin aktiv im Klima-Bündnis

Von den Folgen der globalen Umweltkrise sind alle betroffen: ob in Amazonien, in Deutschland oder in Berlin. Wird der amazonische Regenwald weiter abgeholzt, kann die Erderwärmung und das Artensterben nicht gebremst werden. Und dort, wo die Rechte der indigenen Gemeinschaften respektiert und geschützt werden, bestehen die besten Chancen, den Regenwald zu erhalten. Seit 1992 ist Berlin Mitglied im „Klima-Bündnis der europäischen Städte mit indigenen Völkern der Regenwälder“, ein Kernanliegen ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit und politische Unterstützung der indigenen Gemeinschaften der Regenwälder Amazoniens.

Zu Gast: Alessandra Korap Munduruku (Indigene Aktivistin; Vorsitzende der Vereinigung Associação Indígena Pariri), Jairo Saw Munduruku (Indigenes Oberhaupt des Dorfs Sawre Aboy), Marquinho Mota (Projektoordinator von FAOR – Fórum da Amazônia Oriental)

Unsere Gäste berichteten vom Aufbau des Kultur- und Bildungszentrums und ihren Kämpfen gegen die Zerstörung ihrer Lebensräume und für ihre Rechte.

🎤 Tahir Della & Perihan Zeran | Connecting the Dots – Geschichte(n) von Unterdrückung und Widerstand in Berlin

Interview mit Tahir Della und Perihan Zeran

Veranstalter: glokal e.V. und ISD-Bund e.V.                                                  

                                                                                                         In der hegemonialen Geschichtsschreibung gibt es unzählige Leerstellen. Viele Geschichten, die wichtig für die Gestaltung unserer Gegenwart und die Vorstellung möglicher Zukunft sind, wurden noch gar nicht geschrieben. Um diese Leerstellen ansatzweise zu füllen haben wir in dem eLearning Tool connecting the dots (www.connecting-the-dots.org) zahlreiche aufschlussreiche Zitate von Menschen aus vielen Epochen, Erdteilen und mit vielfältigen gesellschaftlichen Perspektiven (in Bezug auf Klasse, Geschlecht, Sexualität und Rassifizierung) gesammelt.

🎤 Matthias Schwerendt & Theresia Stötzler | Dokumentation zu Erinnerungskulturen: Echoes of Remembrance

Interview mit Matthias Schwerendt und Theresia Stötzler

Veranstalter: EPIZ e.V. – Zentrum für Globales Lernen in Berlin

Der Film begleitet die Reise der „AG Erinnern“ der Theodor-Heuss-Schule aus Moabit nach Oklahoma, USA. Die 15 bis 24-Jährigen lernen über die US-Amerikanische Erinnerungskultur zum Holocaust und Black History: Wie wird an die Geschichte unterschiedlicher Communities erinnert? Was bedeutet „Erinnern“? Und wie können wir das über die Vergangenheit Gelernte umsetzen, um uns auch heute und hier für mehr Gerechtigkeit einzusetzen? Gemeinsam mit Aktivist*innen und Akteuren jüdischer und Schwarzer Communities treten die Schüler*innen mit städtischen Orten in Kontakt.

Nach der Filmvorführung besteht die Möglichkeit, sich mit den Teilnehmenden der Reise über ihre Eindrücke und Erfahrungen auszutauschen sowie über Verbindungslinien der Erinnerungsarbeit für jüdische und Schwarze Communities zu diskutieren.

🎤 Tahir Della, Renée Eloundou & Merel Fuchs | Schwarz-weiße Bündnisarbeit für einen gesamtstädtischen Dekolonisierungsprozess

Interview mit Tahir Della, Renée Eloundou und Merel Fuchs

Veranstalter: Decolonize Berlin e.V.


Wie kann Schwarz-weiße Bündnisarbeit aussehen, um solidarisch Dekolonisierungsprozesse anzustoßen?

Die Koordinierungsstelle bei Decolonize Berlin hat mit Hilfe eines breiten Partizipationsprozesses Maßnahmen und politische Forderungen formuliert, um Dekolonisierungsprozesse in Berlin anzustoßen und zivilgesellschaftliche Perspektiven und Bedarfe sichtbar zu machen. Die Ergebnisse basieren auf den Erfahrungen und Forderungen der Betroffenen, die seit Jahrhunderten auf lokaler und globaler Ebene gegen koloniale Fremdherrschaft und Unterdrückung kämpfen. In diesem Workshop ging es beispielhaft um die Gestaltung des öffentlichen Raums und Repatriierungen von ancestral remains (menschliche Gebeine) aus kolonialen Kontexten.

🎤 Fee Wüstenberg | (re)searching urbanity. Was passiert, wenn wir uns vernetzen?

Interview mit Fee Wüstenberg

Veranstalter: (re)searching urbanity

2022 kamen Berliner Studierende verschiedener Fachrichtungen zusammen, um zu überlegen, wie man einen Raum außerhalb des akademischen Kontexts eröffnen kann, in dem Forschungsergebnisse präsentiert und Interessierte an Stadtpolitik zusammengebracht werden können. Was passiert, wenn sich Aktivist*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die sich mit queer-feministischen, dekolonialen und antirassistischen Stadtpraktiken auseinandersetzen, zusammentun? Aus diesen Überlegungen entstand das Symposium (re)searching urbanity in der Floating University, bei dem im August 2023 insgesamt 300 Besucher*innen an knapp 30 Veranstaltungen zur kritischen Stadtforschung teilnahmen.


Sozial-Ökologischen Wandel der Städte
global gerecht gestalten

mit Oumarou F. Mfochivé (Konzeptwerk Neue Ökonomie) und Anton Brokow-Loga (Bauhaus Uni Weimar), moderiert von Leona Pröpper (Watch Indonesia!)

Leona Pröpper: Wie sieht für euch eine global gerechte Stadt aus?

Oumarou F. Mfochivé: Eine global gerechte Stadt ist eine, die soziale Vielfalt fördert, bezahlbaren Wohnraum schafft, ökologische Mobilität priorisiert und die Rechte sowie Mitbestimmung aller Bevölkerungsgruppen sicherstellt.

Anton Brokow-Loga: Eine global gerechte Stadt ist eine, die nicht abschiebt, die erschwingliche Mobilität für alle ermöglicht, in der wir weniger Lohn arbeiten und dafür mehr Zeit für Care-Arbeit sowie politisches und kulturelles Engagement haben. Letztlich ist es eine Stadt, in der ein gutes Leben für alle ermöglicht wird, ohne auf Kosten anderer zu leben.

➤ Danke für die Visionen! Anton, welche Strukturen müssen wir in Städten dahingehend verändern?

Anton Brokow-Loga: Im Prinzip müssen wir das Wohlstandsmodell hinterfragen, das unsere imperiale Lebensweise prägt. Das kann man in Berlin an verschiedenen Ebenen verdeutlichen.

Die materielle Ebene umfasst zum Beispiel der autofreundliche Straßenschnitt, der eine umweltverträgliche Mobilität erschwert, oder der Neubau von Gebäuden. Beide Aspekte tragen erheblich zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. In Deutschland sollten die jährlichen Neubauziele kritisch hinterfragt und durch komplexeren Lösungen ersetzt werden.

Die andere Ebene sind politische Infrastrukturen, wie z.B. fossile Subventionen im Flugverkehr, die nach wie vor bestehen. Wir müssen grundsätzlich die Art und Weise, wie wir politische Entscheidungen treffen, radikal umdenken, um globale Demokratie zu erreichen.

Die Wachstumsgesellschaft funktioniert aber auch durch mentale Infrastrukturen, also das kulturelle mediale, was uns steuert und was uns prägt, was sich tief in uns eingegraben hat. Ein Beispiel hierfür ist die mediale Berichterstattung. Es ist wichtig, ständig zu hinterfragen, was in den Medien gesehen und als legitim erachtet wird – und was nicht.

➤ Oumarou, wie können wir auf lokaler Ebene das Bewusstsein für Klimagerechtigkeit in Deutschland stärken?

Oumarou F. Mfochivé: Wie Anton schon sagte, müssen wir die Lebensweise und unser Konsumverhalten im Globalen Norden überdenken und die menschliche Politik im Allgemeinen neugestalten, denn die Konsequenzen unserer Handlungen hier in Deutschland und in Berlin haben Auswirkungen weltweit.

In Deutschland wissen noch viel zu Wenige um die Kolonialgeschichte und ihre Zusammenhänge mit der Klimakrise. Die Treibhausgasemissionen und der Konsum hierzulande haben aber weitreichende und gravierende Auswirkungen für andere Menschen weltweit.

In der Kolonialgeschichte wurden Menschen aus dem Globalen Süden gewaltsam nach Europa gebracht und gezwungen, mit ihrer Arbeitskraft die Entwicklung der Städte voranzutreiben. Heute werden Menschen aufgrund globaler Krisen gezwungen, ihre Heimatländer zu verlassen. Die europäische Migrationspolitik führt jedoch dazu, dass sie im Meer sterben oder wieder abgeschoben werden. Das ist eine Ungerechtigkeit, die wir bekämpfen müssen.

➤ Anton, was kann eine Postwachstumsstadt gegen diese Ungerechtigkeiten tun?

Anton Brokow-Loga: Als erstes müssen wir den Umgang mit den planetaren Grenzen ändern und den Fokus weg vom Überkonsum auf die Grundbedürfnisse der Menschen lenken – das ist das Konzept von Degrowth, wie ich es meine. Das sehe ich primär als Aufgabe für Städte im Globalen Norden. Die Lösung ist nicht, einen größeren Kuchen zu backen, damit das Stück der einzelnen größer wird – wir müssen den Kuchen gerechter verteilen. Leider werden diese Verteilungskämpfe in der heutigen Zeit oft rassistisch beantwortet. Um dem zu entgegnen, müssen wir dringend mehr Aufmerksamkeit für Rassismus und migrationspolitische, soziale und ökologische Kämpfe stärker miteinander verbinden.

Die Illusion von unbegrenztem Wachstum zu überwinden ist für die Stadtplanung schwierig, da sie über Jahrzehnte auf Wachstumsgenerierung programmiert wurde, sei es durch Steuermechanismen oder die Notwendigkeit, stetig neue Gewerbe- und Wohnflächen auszuweisen, auch in schrumpfenden Regionen wie Weimar oder Sachsen. Ein Degrowth-Konzept muss zuerst formuliert und in die Planungspraxis integriert werden, sowohl in die Ausbildung als auch in die Arbeit der Planungsämter.

Und wir schaffen es eben nicht, indem wir immer nur an persönliche Verantwortung appellieren oder an die Verantwortung von einzelnen Bürgermeister*innen, sondern nur durch strukturelle Veränderungen, wie Umverteilung, Reparationen und eine Anpassung von Steuersystemen und Schlüsselzuweisungen. Am Ende geht es darum, die Fixierung auf Wirtschaftswachstum als vorrangiges staatliches Ziel infrage zu stellen.

➤ Oumarou, du forderst Reparationen als einen Weg, globale wirtschaftliche Ungerechtigkeiten anzugehen und eine Dekolonisierung voranzutreiben. Kannst du uns mehr dazu sagen?

Oumarou F. Mfochivé: Um Gerechtigkeit und Gleichheit zwischen Nord und Süd zu erreichen, müssen wir die Frage der Klimaschulden angehen. Die heutigen wirtschaftlichen Ungleichheiten, die seit der Kolonialzeit durch Schulden zementiert wurden und heute durch den Kapitalismus fortbestehen, verhindern die Selbstbestimmung des Südens. Dies hält die Wirtschaften des Südens in Abhängigkeit von den Bedürfnissen und Anforderungen der nördlichen Wirtschaften und ihrer Institutionen.

Mehr als 50% der westdeutschen Schulden, die vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg entstanden waren, wurden am 27. Februar 1953 erlassen – mit Unterstützung vieler heute verschuldeten Länder des Südens. Deutschland konnte nur durch diesen Schuldenerlass in den 1950er Jahren sich wiederaufbauen und wirtschaftlich stabilisieren – nicht etwa wegen eines „Wirtschaftswunders“.

Globale Gerechtigkeit ist ein breites, abstraktes Konzept, aber Schulden sind spezifisch. Es gilt, diese unsichtbaren, aber realen Zusammenhänge sichtbar zu machen, um eine gerechtere Weltordnung zu schaffen.

➤ Diese Sichtbarmachung leistest du auch über internationale Projekte. Wie können internationale Partnerschaften auf dem Weg zu Reparationen helfen?

Oumarou F. Mfochivé: Es braucht eine Strategie für systemischen Wandel, der es Gruppen aus verschiedenen Bewegungen im Süden und Norden ermöglicht, sich zu vereinen, ohne ihre jeweiligen lokalen Kämpfe aufzugeben. Durch die Zusammenarbeit sollte auch die Verkopplung zwischen der Klimakrise und dem derzeitigen Wirtschafts- und Finanzsystem thematisiert, und gleichzeitig Räume für den gegenseitigen Wissenstransfer zwischen Bewegungen im Süden und Norden geschaffen werden.

Es ist ebenso wichtig, in universelle Grundinfrastrukturen zu investieren, die allen Zugang zu qualitativ hochwertiger und erschwinglicher Bildung, Wohnraum, Wasser, Elektrizität, Gesundheitsversorgung, Nahrung und demokratischer Regierungsführung bieten. Wir müssen darauf hinarbeiten, Afrikas Energiearmut durch faire Partnerschaften zu beenden, die den Erwerb von Technologien in Afrika fördern.

Wir brauchen deshalb Reparationen, keine „Entwicklungshilfe“. Die Reparation muss folgende Aspekte umfassen: Erstens die Anerkennung und Entschuldigung für das begangene Unrecht. Zweitens monetäre Entschädigungen, seien es in Form von Schuldenerlass, Technologietransfer, den Stopp des Ressourcenraubs oder die bedingungslose Bereitstellung von Mitteln, um die Klimaschulden zu begleichen. Drittens die Garantie, dass das begangene Unrecht nicht wiederholt wird.

Entscheidend ist, dass die Reparationen nicht nur bei den politischen Entscheidungsträgern landen, sondern an Aktivisten soziale Bewegungen und lokale Bevölkerungen fließen, die als erste von den Klimaschäden betroffen sind.

➤ Anton, wie sehen gute Bündnisse zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft aus, um solche Forderungen umsetzen zu können?

Anton Brokow-Loga: Städtenetzwerke können eine zentrale Rolle in der Bewältigung der Klimakrise spielen. Dabei muss man allerdings genau beobachten: Wer hört wem zu? Wo werden Defizite erkannt, wer nimmt die Rolle des Lehrenden ein?

Ich kann das mit einem Beispiel aus der Forschung illustrieren: Eine Kooperation zwischen Düsseldorf, Toulouse und Tunis, die offiziell als „gegenseitiges Lernen“ beschrieben wird. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass es primär um Klimaanpassungsstrategien geht, basierend auf der Prognose, dass Düsseldorf bis Ende des Jahrhunderts klimatische Bedingungen wie Toulouse haben wird. Daher möchte Düsseldorf bereits jetzt geeignete Fördermaßnahmen entwickeln. Toulouse wiederum soll von Tunis lernen, da für Ende des Jahrhunderts ein Klima wie in Tunis prognostiziert wird. Und dann fragen wir uns alle: und was ist mit Tunis? Es kann nicht sein, dass dann einfach die Klimaanpassungsstrategien abgezogen werden, aber dass die Realität der Klimakrise ja bedeutet, dass in Tunis noch schwierigere klimatische Voraussetzungen sind.

Ein Beispiel für gute Bündnisse sind wiederum munizipalistische Bewegungen, wie etwa bei der Fearless Cities Konferenz in Barcelona. Da diese Bewegungen oft Wurzeln im Kampf gegen Ausgrenzung und Abschiebung haben, gibt es hier großes Potenzial, die migrations- und klimapolitischen Debatten zu vereinen.

Als letztes ist es auch wichtig, die erinnerungspolitische Dimension mitzudenken und an den Manifestationen des Kolonialismus in unseren Städten anzuknüpfen – sei es durch kritischen Stadtführungen oder Straßenumbenennungen. Das sind alles Bestandteile einer planetaren Geschichte, die von viel Gewalt geprägt ist. Wir sollten genau an diesen Punkten ansetzen, die Konsequenzen der Klimakrise betrachten und lokale Bündnisse schaffen, die die Forderungen aus dem Globalen Süden in den Mittelpunkt stellen.


Machtkritik und Ko-Produktion als Grundlage der
Transformation der Stadt

Mit Tahera Ameer (Amadeu-Antonio-Stiftung), Saraya Gomis (u.a. Lehrerin) und Niloufar Tajeri (TU Berlin), moderiert von Renée Eloundou (Koordinierungsstelle Decolonize Berlin)

Renée Eloundou: Mit welchen Beteiligungsformaten seid ihr in Berührung bekommen, und wie würdet ihr ihren Erfolg einschätzen?

Niloufar Tajeri: Jede zivilgesellschaftliche Initiative ist für mich eine Form der Beteiligung – auch Ladenbesitzer*innen, die soziale Beziehungen pflegen und das Straßenleben bereichern, ebenso wie Kioskbetreiber*innen oder Mitarbeitende der BSR.  Gemeinsam tragen wir alle zur Gestaltung der Stadt bei, wir ko-produzieren sie.

In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit Stadtentwicklung und Gentrifizierung in Neukölln beschäftigt, besonders mit der Initiative rund um den Hermannplatz. Der Eigentümer des Karstadt-Gebäudes plante einen Abriss und den Bau einer historischen Rekonstruktion. Viele stadtpolitische Initiativen, darunter unsere, setzten sich dagegen ein, da dies die Gentrifizierung und Verdrängung in der Gegend noch weiter verstärken würde.

In den Diskussionen zum Hermannplatz war ich jedoch oft die einzige Person mit nicht-weißen Wurzeln. Das war für mich eine befremdliche und prägende Erfahrung, da ich merkte, wie wenig repräsentativ diese Gruppen für die Vielfalt Kreuzbergs und Neuköllns sind. Die Diskussionen waren oft von einer bürgerlichen Perspektive geprägt. Der allgemeine Tenor war zum Beispiel, dass der Hermannplatz keine Aufenthaltsqualität habe – eine Einschätzung, die von Menschen kam, die den Platz selbst kaum nutzen. Wie kann man so etwas beurteilen, wenn diejenigen, die den Hermannplatz täglich erleben, nicht einmal vertreten sind? Das zeigt, wie viel Nachholbedarf es bei der Einbindung echter Stimmen gibt.

Tahera Ameer: Ich finde, Erfolg in diesem Bereich hat oft mit unsichtbaren Errungenschaften zu tun. Allein schon jemanden dazu zu ermutigen, von bestimmten Räumlichkeiten Gebrauch zu machen, oder die Verwaltung dazu zu überreden, Termine in die Abendstunden statt um 9 Uhr morgens zu legen, können große Fortschritte sein.

In meiner Arbeit handelte es sich häufig um eingewanderte oder geflüchtete Frauen in ländlichen Regionen, die entweder alleine aktiv waren oder in lockeren Initiativen mitwirkten. Schnell wurde klar, dass diese Art von Engagement in der deutschen Kultur des Ehrenamts kaum funktioniert. Um überhaupt gehört zu werden, braucht man einen Verein. Netzwerke sind zwar hilfreich, aber wenig effektiv, vor allem wenn finanzielle Anträge gestellt werden sollen. Der erste Schritt bestand also darin, Strukturen zu schaffen, die Partizipation überhaupt ermöglichen.

Saraya Gomis: Aus der Perspektive der Verwaltung gibt es Konsultationsprozesse, Gesprächsrunden und andere Beteiligungsformate. Doch wenn es um die Einbindung der Zivilbevölkerung geht, fehlt eine ganzheitliche Betrachtung, die die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen einbezieht. Es gibt zahlreiche Ausschlusskriterien, die definieren, wer zur Zivilgesellschaft gehört – und innerhalb dieser Gruppe gibt es wiederum Hierarchien. Ein weiterer Faktor ist die mangelnde Zeit, die vielen Prozessen eingeräumt wird, was zusätzlich zur Ausgrenzung führt.

➤ Wo seht ihr grundlegende strukturelle Hürden in Bezug auf diesen Beispielen?

Niloufar Tajeri: Die Verdrängung von Arbeiter*innen und rassifizierten Menschen aus der Innenstadt ist gravierend. Das liegt daran, dass der gebaute Raum häufig ohne Berücksichtigung der betroffenen Menschen verändert wird. Das darf nicht so weitergehen. Denn: Wohin sollen all diese Menschen ziehen? Am Ende führt die Gentrifizierung und Aufwertung der Stadt dazu, dass sich auch in Berlin immer mehr Menschen fragen: „Kann ich hier bleiben oder nicht?“

Und selbst wenn Bürger diese Beteiligungsprozesse durchlaufen, bleiben ihre Beiträge meist unverbindliche Anregungen. Es bleibt oft die grundsätzliche Frage: Was kann da überhaupt noch verändert werden? Was ist, wenn ich sage, ich finde das ganze Projekt falsch?

Tahera Ameer: Die Beteiligungsformate die wir hier gerade diskutieren gibt es auf dem Land häufig nicht. Marginalisierte Menschen stehen oft allein mit ihren Fragen und Perspektiven da. Und da plädiere ich für mehr Solidarität von der Stadt gegenüber der Peripherie. Es macht für uns einen Unterschied, über Rassismus zu sprechen, auch wenn niemand zuhört. Deshalb geht es darum, laut und deutlich zu sagen: „Wir sind hier und wir bleiben.“ Doch diese Sichtbarkeit kann auf dem Land gefährlich sein und ist deshalb auch ganz schön mutig.

Saraya Gomis: In Berlin gibt es oft den Mythos, die Stadt sei ein einzigartiger, fortschrittlicher Ort. Diese Erzählung ist problematisch, da sie nicht der Realität entspricht und zudem eine Illusion schafft, dass man sich hier zurücklehnen und langsamer voranschreiten könne.

Tahera Ameer: Zu meiner Skepsis gegenüber der Perspektive von städtischen Akteuren auf ländliche Räume habe ich noch ein Beispiel. Vor einigen Jahrzehnten gab es eine Bewegung von Geflüchteten, die in völlig segregierten Heimen lebten. Diese Bewegung führte dazu, dass Systeme wie Essensmarken und Gutscheine abgeschafft wurden. Sie brachte erstmals eine breitere Aufmerksamkeit darauf, wie Menschen in diesen Unterkünften leben, wo sie untergebracht werden, wie immobil sie oft sind und welche Einschränkungen sie erfahren. All das verdanken wir dem Einsatz dieser Geflüchteten, die damals allein für ihre Rechte auf die Straße gingen.

Jahre später hörte ich jedoch von Kolleginnen aus der Zivilgesellschaft und Stiftungslandschaft in der Hauptstadt – es muss nicht unbedingt Berlin gewesen sein – dass es im ländlichen Raum angeblich keine politische Bewegung unter Geflüchteten mehr gebe. Wo sei deren Kampfgeist? Wo sei ihr politisches Engagement geblieben? Solche Aussagen sind einfach nur zynisch. Es ist absurd, von Menschen, die die ohnehin schon unter diesen schwierigen Umständen leiden, zu erwarten, dass sie auch noch politische Kämpfe führen. Solches Engagement müsste von uns unterstützt und getragen werden – nicht von denen, die mit dem reinen Überleben beschäftigt sind.

➤ Welche Lehren können wir aus euren Erfahrungen mit zivilgesellschaftlichen Beteiligungsformaten ziehen?

Saraya Gomis: Viele Sachen müssen wir noch ganz neu denken, und bestimmte Dinge müssen wir mehr zusammenführen, zum Beispiel Justiz, Antidiskriminierung und Vielfalt. Ein wichtiger Faktor wäre eine Politik zu entwickeln, die nicht an einer Legislaturperiode gebunden ist, da diese Strukturen und Bedürfnisse kontinuierlich sind. Die Forderungen müssen mit den internen Angelegenheiten der Verwaltung selbst verbunden werden.

Die Rolle der Verwaltung muss transparent sein. Sie wird und soll nicht einfach wie die Zivilgesellschaft funktionieren, sondern sie bietet am Ende auch eine Dienstleistung. Da wird was verwaltet, was im Sinne der Bewohner*innen dieser Stadt passiert. Um diese Dienstleistung anzubieten, braucht es eine Demokratisierung der Information, damit die richtigen Menschen die Prozesse mitkriegen und diese verstehen können.

Niloufar Tajeri: Wir müssen unbedingt Nachbarschaften stärker schützen. Sie sind weit mehr als eine bloße Ansammlung von Menschen, die nebeneinander wohnen. Sie bilden soziale Netzwerke, Strukturen und wichtige Akteure der Zivilgesellschaft. Verwaltungseinrichtungen müssen die Perspektiven der Zivilgesellschaft ernst nehmen und sie genauso als Expert*innen anerkennen wie Wohnungseigentümer*innen.

Es braucht mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für die Arbeit der Zivilgesellschaft. Dafür sollen weniger Ressourcen in formellere, kontrollierte Beteiligungsformate fließen. Ich wünsche mir, dass die Verwaltung viel mehr darauf hört, was die Zivilgesellschaft zu sagen hat, und diese Akteure als Expert*innen wahrnimmt – genauso wie sie es bei Eigentümer*innen und Investor*innen tut.

Tahera Ameer: Als Zivilgesellschaft muss man sich zwar immer wieder Räume erobern. Denn es braucht diese Möglichkeit, Fragen zu stellen, die sonst keiner stellt und eigene Antworten zu finden, die man dann umsetzt. Unser Ansatz des „Kommunalen Powersharings und Empowerment-Prozesses“ unterstreicht diese Notwendigkeit. Es bedarf einer politischen Übersetzung, um bei der Verwaltung Gehör zu finden und ernst genommen zu werden.

Was gelingt, ist skandalisieren und Aufmerksamkeit schaffen. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Neubrandenburg haben wir z.B. Studien zur Situation von Frauen durchgeführt, die von Rassismus betroffen sind, Mikroaggressionen thematisiert und das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern darauf hingewiesen, dass die Landeskonzeption für frühkindliche Bildung nicht nur mangelhaft, sondern zutiefst rassistisch und verletzend ist – sie ist keineswegs diskriminierungssensibel, sondern im Gegenteil.


 

 

Ein großes Dankeschön

an alle Partner*innen, Gäst*innen, Panelist*innen und Referent*innen, die mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen zum Erfolg der Konferenz beigetragen haben. Besonders danken wir den BER-Referent*innen Serttaş Dündar für die Gesamtkoordination und Sina Aping für ihre inhaltlichen Beiträge zur Konferenz.


Die Konferenz findet statt mit finanzieller Unterstützung der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit und von Engagement Global mit Mitteln des BMZ. Für die Inhalte der Aktivitäten ist allein die bezuschusste Institution verantwortlich. Die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe oder des BMZ wieder.