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Bolsonaro ist endlich weg – und nun?

Interview mit Thomas Fatheuer, Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika (FDCL)

Soziale und indigene sowie die Klima- Landlosenbewegung in Brasilien verbinden große Hoffnungen mit dem neuen Präsidenten Brasiliens Inácio Lula da Silva. Die gewünschte Abkehr von Bolsonaros rechtsextremer Politik und Sprache hat aber auch über Brasilien hinaus große Bedeutung. Es handelt sich immerhin um das größte Land Südamerikas, das fünftgrößte der Welt und um einen weltpolitisch immer bedeutenderen Akteur – Stichwort: BRICS-Staaten. Ein Interview mit Thomas Fatheuer vom FDCL, das beim BER-Netzwerktreffen am 14. Dezember 2024 geführt wurde. Das Treffen fand in Kooperation mit der „Initiative Berlin aktiv im Klimabündnis“ statt. Das Bündnis unterstützt das Land Berlin dabei, seinen Beitrag zum Schutz des Regenwalds und der indigenen Völkern Amazoniens zu leisten. Das Bündnis besteht aus 5 Mitgliedsgruppen des BER und dem BER selbst.

Indigene haben den effektivsten und sichtbarsten Widerstand gegen das Bolsonaro-Regime geleistet.“

Wie wirkt sich der Regierungswechsel auf den Zustand des Regenwaldes und auf die Situation der indigenen Gemeinden im Amazonas aus?

Es gibt sehr positive Signale, und es war wirklich wichtig, dass Bolsonaro nicht länger an der Macht bleibt, denn er hatte die Zerstörung der Regenwälder für die wirtschaftliche Nutzung zu seinem Ziel erklärt. Er hat das alte Modell wiederbelebt, wonach Entwicklung das Abholzen der Wälder voraussetzt, um dann intensive Landwirtschaft, Sojaanbau, Viehzucht oder andere Geschäftsmodelle zu betreiben. Seit der Amtszeit von Lula da Silva gibt es eine klare Wende, denn der Erhalt von Wald ist wieder ein politisches Ziel geworden. Lula weiß, dass er international nur punkten kann, wenn Brasilien das Problem der Entwaldung in den Griff bekommt. 2025 findet die UN-Klimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém statt. Lula muss dort konkrete Ergebnisse präsentieren. Bisher lässt sich eine positive Entwicklung beobachten, denn im ersten Regierungsjahr ist es gelungen, die Entwaldung um 20 Prozent zu reduzieren. Aber natürlich sind die Probleme nicht kurzfristig zu lösen und es gibt weitere Konfliktfelder.

Mit welchen konkreten Maßnahmen wurde die Entwaldung gestoppt?

Die wichtigsten Maßnahmen, die kurzfristig wirken, sind Umweltkontrollen, die wieder verstärkt und mit einer gewissen Rigorosität durchgeführt werden. Dabei zerstört man beispielsweise Maschinen, die zur Entwaldung eingesetzt werden, indem sie einfach abgebrannt werden. Das ist sehr wirkungsvoll. Unter Bolsonaro waren Umweltkontrollen fast eingestellt worden. Diese Kontrollen wurden nun von engagierten Mitarbeitenden in den Umweltverwaltungen wieder aktiviert. Sie alle möchten etwas verändern und haben aus den ersten zwei Amtsperioden von Lula gelernt, dass man die mobilen Kontrolleinheiten von außen in die Gebiete schicken muss. Denn wenn nur Einheimische vor Ort aktiv werden, sind sie den Repressionen des Agrobusiness ausgesetzt. Inzwischen gibt es sogar Überwachungsprogramme in Amazonien, durch die die Umweltbehörden alarmiert werden. Sie lassen dann hochspezialisierte Einheiten mit Flugzeugen oder Hubschraubern in die Gebiete einfliegen. Das sind sehr spektakuläre Aktionen, die häufig im Fernsehen übertragen werden und abschreckend wirken.

Längerfristig braucht es jedoch mehr Maßnahmen und man muss bestehende Schutzgebiete stärken sowie neue indigene Territorien und Schutzgebiete ausweisen. Diese Prozesse beginnen, erste Erfolge zeigen sich, aber perspektivisch ist es ein langer Weg. Und natürlich wird das auch zu Konflikten führen, denn die Gegenseite wird reagieren.

Welche Bedeutung hat denn der Amazonas für das Weltklima? Es heißt ja immer, Amazonien sei die grüne Lunge der Erde.

Jeder Baum ist Teil der Lunge dieser Welt. Das ist kein zentralistisches System, und es wird nicht ausreichen, allein den Regenwald in Südamerika zu bewahren. Wir müssen Naturräume insgesamt schützen. Aber der Regenwald ist natürlich das größte geschlossene Waldgebiet der Erde, in dem massive Entwaldung stattfindet.Dagegen ist der Waldbestand in Deutschland relativ konstant; Entwaldung trägt hier nicht maßgeblich zum Klimawandel bei.

In den Tropen allerdings ist das anders, und darum haben die Waldgebiete eine riesige Bedeutung. Circa zehn Prozent der globalen Emissionen werden durch Entwaldung verursacht. Das sind mehr als die gesamten Emissionen durch den weltweiten Verkehr oder mehr als die Gesamtemissionen in der EU. Natürlich ist die Verbrennung fossiler Energieträger das größte globale Problem, darüber gibt es einen Konsens. Aber die Pariser Klimaziele bleiben unerreichbar, wenn nicht die Entwaldung deutlich reduziert wird, was in allen Klimakonferenzen ein großes Thema ist. Auf der COP26 in Glasgow hat man sich darauf verständigt, die globale Entwaldung bis zum Jahr 2030 zu stoppen, aber leider wird das bisher nicht so umgesetzt und das Ausmaß der Entwaldung ist noch viel zu hoch.

Wie wirkt sich der Regierungswechsel auf zivilgesellschaftliches Handeln, auch der Indigenen, aus und was hat sich im Vergleich zu vorher verändert?

Bolsonaro hatte gegenüber der Umweltgesetzgebung und indigener Gebiete eine feindliche Haltung. Aus seiner Sicht war das alles unproduktiv und damit verachtungswürdig. Für ihn bestand das wahre Brasilien aus dem produzierenden Agrobusiness. Nun sind allerdings die Rechte indigener Völker in der Verfassung garantiert, und er konnte nicht einfach deren Gebiete auflösen. Daher hatte er ermutigt, die Grenzen der Legalität zu überschreiten und in indigene Gebiete einzudringen, woraufhin Konflikte vor Ort zugenommen haben.

Gleichzeitig muss man sich vor Augen führen, dass Indigene den effektivsten und sichtbarsten Widerstand gegen das Bolsonaro-Regime geleistet haben. Der großen Marsch der indigenen Völker nach Brasilia im April 2023, der international sehr stark wahrgenommen wurde, hat vielen Mut gemacht hat. Denn die sehr verstreut lebenden Indigenen haben es geschafft, 20. bis 30.000 Menschen zu mobilisieren. Das war beeindruckend, und das hat auch Lula beeindruckt. Ihre Devise war: Wir sind 500 Jahre Widerstand gewohnt, wir werden auch Bolsonaro überleben.

Einen Blick auf den 500 Jahre währenden Kampf um Territorien geben auch zwei Frauen aus Aby Yala in einem Artikel aus der BER-Broschüre: Mainstreaming Decolonize – Koloniale Kontinuitäten in der Entwicklungspolitik