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Feministische Entwicklungspolitik?

Kommentierung des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER) zur Strategie des BMZ


Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat im März 2023 eine Strategie zur feministischen Entwicklungspolitik vorgelegt. Nach einem Jahr zieht der Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER) Bilanz – aufbauend auf den Diskussionen des zivilgesellschaftlichen Netzwerks „Frauen* in der Entwicklungspolitik“, das der BER koordiniert und einem Diskussionsprozess mit zivilgesellschaftlichen Organisationen im BER-Netzwerk.

Eine wichtige Strategie in Zeiten zunehmender anti-feministischer Diskurse

Der BER begrüßt die BMZ-Strategie zur feministischen Entwicklungspolitik, insbesondere in Zeiten, in denen auch in Deutschland anti-feministische Diskurse zunehmen und Anliegen zur Stärkung von Frauen* und Aktivist*innen diskreditiert werden. Insbesondere der angekündigte „machtkritische (Lern-)Prozess“ des Ministeriums (S. 11, 32ff), welcher postkoloniale, antirassistische und intersektionale Perspektiven enthalten soll, ist als wichtiger Schritt anzuerkennen. Auch betont das BMZ die Vielfalt feministischer Bewegungen und würdigt langjährige Widerstandskämpfe nicht-weißer und nicht westlicher Feminismen (S. 5). Positiv zu bewerten ist, dass das BMZ den ressortübergreifenden Austausch, insbesondere mit dem Auswärtigen Amt, anstrebt, die Kritik an einem universellen Verständnis von Feminismus teilt und Perspektiven aus dem Globalen Süden sichtbar macht. Die Erklärungen zu Ansätzen des Themas fördern eine umfassende Sichtweise zum Thema.

Die Verbrechensdimension des Kolonialismus fehlt

In der Ausgangslage werden der „koloniale Ursprung“ für das „Machtgefälle zwischen Ländern des Globalen Nordens und Globalen Südens“ und teilweise koloniale Kontinuitäten beschrieben (S.10/11). Dennoch werden nicht die Ursachen oder Verantwortlichkeiten für den Kolonialismus benannt, nämlich, dass es ein Unrechtssystem und Verbrechen an der Menschlichkeit war, das von Europa ausging, und dessen Auswirkungen heute noch global spürbar sind. Auch westliche Vorstellungen von „gerechten Gesellschaften“, die kolonial rassistische Ausbeutungsstrukturen verfestigen, bestehen weiterhin – Institutionen des Globalen Nordens sind Teil davon. Dies wird auch vom BMZ so beschrieben, in den Handlungsfeldern der Strategie spielen diese allerdings nur eine untergeordnete Rolle, die Ebene von Verantwortung von Ländern des Globalen Nordens/ Deutschland wird zu wenig adressiert.

Eine BMZ-Strategie ohne (feministische) entwicklungspolitische Inlands- und Bildungsarbeit?

Die Strategie spricht sich für einen „systemischen Wandel“ und eine „Politik, die verstärkt an den Ursachen von Ungleichheiten weltweit ansetzt“ (S. 14) aus. Wenn der Globale Norden eine Verantwortung dafür trägt, dann sind Bewusstseins- und Lernprozesse unabdingbar. Die entwicklungspolitische Inlandsarbeit, insbesondere die Bildungsarbeit, spielt aus Sicht des BER dafür eine wichtige Rolle – insbesondere für nachfolgende Generationen. Sie wird in der BMZ-Strategie allerdings nicht ein einziges Mal thematisiert. Veränderungsprozesse (in der Gesellschaft und im eigenen Handeln) werden durch Wissensvermittlung, Reflexion, Sensibilisierung und Handlungsorientierung angestoßen, Prozesse, die das BMZ in seinen Auslandsprojekten selbstverständlich fördert und für die entwicklungspolitische Inlandsarbeit in Deutschland 45 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stellt. Warum ist sie kein Handlungsfeld in der Umsetzung der Strategie?

Das Entwicklungs-Narrativ „Wir und die Anderen“ bleibt

Die Kritik am „Entwicklungsbegriff“ und an der eurozentristischen Vorstellung des Globalen Nordens als Norm greift die Strategie auf, doch in den Handlungsfeldern spiegelt sich dies nicht wider. Dort bleibt es beim Konstruieren von Othering, von „Wir und die Anderen“ (Globaler Norden vs. Globaler Süden), von „lokalen Akteur*innen und Durchführungsorganisationen“. Es trägt dazu bei, dass Defizite vorrangig im sogenannten Globalen Süden verortet und dort Lösungsansätze befördert werden (ab S. 23). Für die Umsetzung feministischer Entwicklungspolitik konzentriert sich das BMZ auf Rechte, Ressourcen und Repräsentanz (3Rs) von Frauen und marginalisierten Gruppen, die vor allem im sogenannten Globalen Süden gestärkt werden sollen. Auch hier werden die Ursachen ungleicher Verteilung dieser „3Rs“ nicht benannt. Zudem ist die Gender-Pay-Gap auch eine Barriere für Frauen in Deutschland, auch hier gibt es eine „lokale Zivilgesellschaft“, die daran arbeitet. Eine gleichberechtigte entwicklungspolitische Zusammenarbeit sollte auf der Einsicht fußen, dass alle Partner*innen sich verändern müssen.

Geschlechterbinarität wird nicht aufgebrochen

Die Strategie zeigt ein Bewusstsein für die Heterogenität von Geschlechtern. In großen Teilen des Textes wird aber weiter von den binären Geschlechterkategorien „Mann“ und „Frau“ gesprochen. Darüber hinaus verfolgt die BMZ-Strategie den Ansatz, auch Männer und Jungen in die feministische Entwicklungspolitik einzubeziehen, die Praxisbeispiele beschreiben jedoch hauptsächlich Frauen und Mädchen.

Entwicklungspolitik in den Grenzen des Wachstums

Die Ansätze einer feministischen Entwicklungspolitik des BMZ basieren auf dem wirtschaftlichen Wachstumsgedanken, der letztendlich auf Kosten der sogenannten „Anderen“ geht. Auch das globale Wirtschaftssystem ist zutiefst rassifiziert und vergeschlechtlicht. Eine intersektional feministisch ausgerichtete Strategie sollte Alternativen zu ökonomischen und nationalstaatlichen Interessen des Globalen Nordens in entwicklungspolitischen Maßnahmen erarbeiten. Eine politische Vision, die die BMZ Strategie auslässt.

Damit Entwicklungspolitik nicht im kolonialrassistischen Narrativ verhaftet bleibt oder sich mit angeeigneten (Widerstands)-Wissen weiter der Entwicklung „Anderer“ verschreibt, sollte die BMZ-Strategie stärker an den Ursachen von Ungleichverteilung ansetzen und die entwicklungspolitische Inlands- und Bildungsarbeit als Handlungsfeld identifizieren.

BER-Diskussionspapier als pdf zum Download

Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER e.V.), Am Sudhaus 2, 12053 Berlin (Februar 2024)

Der BER ist ein Netzwerk von mehr als 110 entwicklungspolitischen Gruppen und das Sprachrohr für Menschen, die sich in Berlin für globale Gerechtigkeit einsetzen. Der BER bietet eine Plattform zum Austausch und zur Qualifizierung der entwicklungspolitischen Arbeit. Er setzt sich gegenüber der Berliner Landespolitik für ein zukunftsfähiges Berlin in einer globalisierten Welt und für eine starke Zivilgesellschaft ein.

Redaktion: Sina Aping (BER), Sylvia Werther (BER, VisdP)

BER-Selbstverortung Wir identifizieren uns als machtkritische Akteur*innen der Entwicklungspolitik, die über ein Bewusstsein verfügen, dass die koloniale Welt- und Arbeitsteilung in den „Westen und den Rest“ nach wie vor wirkt und somit Ungleichheiten reproduziert. Wir sind uns der Ambivalenz bewusst, dass wir einerseits den Anspruch erheben, kritische Reflexion anzuregen und andererseits selbst in dem kolonial rassistisch geprägten System verankert sind und davon profitieren. Wir nutzen den Begriff „Entwicklungspolitik“, um diejenigen zu erreichen, die sich darunter verorten. Wir teilen unsere Impulse zur Kritik am klassischen Entwicklungsnarrativ(Begriff), ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Dazu bedarf es einer ständigen Auseinandersetzung mit den historischen Verbrechensdimensionen von Kolonialismus, Kapitalismus, Rassismus und dem Patriarchat im (Entstehungs-)Kontext von (feministischer) Entwicklungspolitik.