BER-Forderungen
Forderungen entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen an die Berliner Landespolitik für die Jahre 2022 bis 2024
Die Eine Welt Stadt Berlin ist die Idee eines global gerechten, antirassistischen und nachhaltigen Berlins. An dieser Idee arbeiten die im Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER) organisierten 110 entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen. Landesentwicklungspolitik verbindet verschiedene Politikfelder. Sie lebt von zivilgesellschaftlicher Beteiligung, nimmt eine intersektionale Perspektive ein und reflektiert koloniale Kontinuitäten.
Wir fordern die Landes- und Bezirkspolitik zum stadtpolitischen Engagement für globale Gerechtigkeit auf. Die Klimakrise, die COVID-19-Pandemie und zahlreiche Kriege zeigen, dass globale Solidarität zwingend notwendig ist und die globale Verantwortung des Landes Berlin wächst. Daher müssen Politik und Verwaltung auf Landes- und kommunaler Ebene ihr Handeln am Ziel der globalen Gerechtigkeit ausrichten, und zwar in allen politischen Bereichen, zum Beispiel auch in der Gesundheits-, Ernährungs-, Digital- und Sportpolitik. Der BER schlägt zudem konkrete Maßnahmen in folgenden Politikfeldern vor.
Internationale Partnerschaften Berlins stärken: zivilgesellschaftlich fundiert, staatlich gefördert
Wir fordern vom Land Berlin,
seine Städte- und Bezirkspartnerschaften mit dem Globalen Süden entsprechend des SDG 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ auszubauen. Dabei müssen insbesondere die Städtepartnerschaften mit Windhoek und Jakarta institutionell und finanziell langfristig abgesichert werden. Die Senatskanzlei soll gemeinsam mit Akteur*innen aus der Berliner Zivilgesellschaft und den Partnerstädten ein Konzept für internationale, gleichberechtigte und machtkritische Partnerschaften erarbeiten, um geteilte Herausforderungen wie Klimakrise, nachhaltige Stadtentwicklung und Demokratiestärkung gemeinsam anzugehen. Dafür soll ein eigener Projektfonds eingerichtet werden. Bestehende Partnerschaftsprojekte wie das „Smart Change“-Programm mit Jakarta und Bangkok müssen mehr zivilgesellschaftliche Akteur*innen einbeziehen und Maßnahmen der Start-Up-Förderung an sozialökologische Standards knüpfen. Die Städtenetzwerkverbindungen des Landes Berlin und seiner Bezirke, etwa Solidarity Cities, Mayors for Peace und Städte gegen die Todesstrafe, sollen genutzt werden, um globale friedenspolitische Standards und Instrumente wie massenvernichtungswaffenfreie Zonen oder Mindeststandards für den Schutz von Geflüchteten zu unterstützen und eine Stärkung der Menschenrechte in den Partnerregionen zu erreichen.
Bildungspolitik: Globales Lernen für transformative Bildung
Wir fordern vom Land Berlin,
die verpflichtende Verankerung von Globalem Lernen als Prinzip des lebenslangen Lernens in allen Bildungs- und Ausbildungsformen, insbesondere in der Ausbildung von Lehrkräften. Die Institution Schule soll ein partizipativer, offener, demokratischer und diskriminierungsfreier Lern- und Lebensort sein, an dem auch außerschulische Lernerfahrungen möglich werden. Dafür müssen mehr Projektmittel für NGOs und eine strukturell verankerte Zusammenarbeit bereitgestellt werden, z.B. im „BIKO-Programm für dekoloniale Projekte“ und im „Programm Politische Bildung an Berliner Schulen“. „Postkoloniale Bildung“ muss als Querschnittsthema zur fachübergreifenden Kompetenzentwicklung in die Rahmenlehrpläne aufgenommen und rassismuskritische Schulungen für Bildungsakteur*innen gefördert werden. An der Überarbeitung der (v.a. gesellschaftswissenschaftlichen) Fächer-Rahmenlehrpläne müssen Schüler*innen- und migrantisch-diasporische Perspektiven und zivilgesellschaftliche Akteur*innen einbezogen werden.
Dekolonisierung in Berlin als Querschnittsthema verankern und Antirassismus stärken
Wir fordern vom Land Berlin,
Dekolonisierung als Querschnittsthema zu verankern. Dazu sollen die zivilgesellschaftlich erarbeiteten Maßnahmen in den Bereichen Bildung/ Wissenschaft, Kultur und internationale Beziehungen/ Entwicklungspolitik für ein gesamtstädtisches Aufarbeitungskonzept zu Berlins kolonialer Vergangenheit vom Land Berlin umgesetzt werden. Unter Beteiligung der Zivilgesellschaft muss ein machtkritisches Erinnerungskonzept zum Kolonialismus in Berlin entstehen, das dezentrale Erinnerungsorte und ein zentrales Mahnmal enthält. In einem kolonialen Kontext geraubte menschliche Gebeine sowie Kultur- und Naturschätze in Berliner Institutionen müssen sofort zurückgegeben werden. Berlin muss den zivilgesellschaftlichen Maßnahmenkatalog „Für die Gleichstellung von Menschen afrikanischer Herkunft und zum Abbau von deren Diskriminierung durch anti-Schwarzen Rassismus“ der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft 2015 – 2024 umsetzen. Die Umsetzung des Berliner Diversity-Landesprogramms muss zügig erfolgen, rassismuskritische Schulungen und Diversity-Prozesse für Verwaltungen müssen gefördert werden.
Migrationspolitik: Grenzen überwinden
Wir fordern vom Land Berlin,
die Themen Flucht und Migration als Querschnitt in allen Politikbereichen zu verankern, u.a. müssen integrations- und entwicklungspolitische Maßnahmen stärker verzahnt werden. Selbstvertretungsstrukturen der entwicklungspolitischen migrantisch-diasporischen Zivilgesellschaft sollen vom Land Berlin institutionell gefördert werden. Die Teilhabe und der Schutz vor Diskriminierung müssen für alle Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte – unabhängig von ihrer Herkunft oder ihres Fluchtgrundes – sichergestellt werden. Dazu muss das Land den bedingungslosen Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, Bildungs- und Gesundheitssystem gewähren. Das Land Berlin als „Stadt Sicherer Häfen“ muss mehr Geflüchteten und aus Seenot Geretteten Asyl anbieten und darf keine Menschen abschieben. Berlin muss sich für die Wahrung der Menschenrechte an der EU-Außengrenze einsetzen.
Wirtschaftspolitik: Wirtschaftsdemokratie statt Ausbeutung
Wir fordern vom Land Berlin als Fairtrade-Stadt
eine Wirtschafts- und Vergabepolitik, die nachhaltige, faire und regionale Produkte sowie solidarische Wirtschaftsmodelle und die Kreislaufwirtschaft priorisiert. Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten müssen in der kommunalen und Landes-Beschaffung sowie in den Förderkriterien der Wirtschafts- und Außenwirtschaftsförderung verbindlich festlegt und umgesetzt werden. Dabei muss Transparenz hergestellt werden. Über Unternehmensbeteiligungen soll Berlin dafür sorgen, Aufsichtsräte divers zu besetzen und Demokratisierung zu befördern. Berlin muss sich zur Postwachstumsstadt bekennen und sein Wirtschaften auf Gemeingüter konzentrieren. Ökonomien des Teilens und Tauschens, Schenkens und Verleihens sowie des gemeinschaftlichen Besitzes sollen im Rahmen von solidarischer Landwirtschaft, offener Werkstätten, der Gemeinwohlökonomie oder von zirkulärem Wirtschaften gefördert werden.
Umwelt, Klima- und Energiepolitik: Weniger ist mehr
Wir fordern vom Land Berlin
dass nur Maßnahmen zur sozialökologischen Transformation in Berlin umgesetzt werden, die die Menschenrechte im Globalen Süden wahren und zur Klimagerechtigkeit beitragen. Nötig ist die Verpflichtung Berlins zur Klimaneutralität bis 2030 und eine Verkehrs- und Rohstoffwende, um Berlins Klimabudget einzuhalten und seinen Gesamtrohstoffverbrauch auf ein global gerechtes Maß zu reduzieren. Eine beschleunigte Energie- und Wärmewende muss zum schnellstmöglichen Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen führen (Kohle, Erdgas, Erdöl). Der Import von grünem Wasserstoff aus Ländern des Globalen Südens darf nur erfolgen, wenn er der Energiegerechtigkeit in den Herkunftsländern dient. Im Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (BEK) müssen Maßnahmen zum internationalen Klimaschutz und zu Klimagerechtigkeit gefördert werden. Wir fordern, dass Berlin seine Mitgliedschaft im „Klima-Bündnis – Europäische Kommunen in Partnerschaft mit indigenen Völkern“ aktiv wahrnimmt.
Der BER und seine Mitglieder unterstützen und beraten den Berliner Senat gern bei der Umsetzung dieser Forderungen.
Berlin im September 2022
BER-Wahlcheck 2021
Im entwicklungspolitischen Wahlcheck des BER vor den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2021 haben sich SPD, Linke, FDP und Bündnis 90/Grüne zu einige Forderungen des BER geäußert – häufig zustimmend. Wir werden die Parteien daran erinnern.
Berlins globale Verantwortung in Zeiten der Corona-Krise: BER-Forderungspapier Mai 2020
Durch die weitreichenden und bisher kaum absehbaren Folgen der Corona-Krise steht die Berliner Landespolitik in einer neuen Verantwortung. Über 100 entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen appellieren daher an die Berliner Landespolitik:
Berlin muss durch die Folgen der Corona-Krise seine globale Verantwortung neu und konkret bestimmen: Solidarität in der Corona-Krise muss global sein. Nachhaltigkeit muss zum Leitprinzip werden, damit wir für künftige Krisen besser vorbereitet sind. Weltoffenheit in der Corona-Krise muss schnell Geflüchteten zugutekommen.
Zum Forderungspapier 2020 (pdf)
Zur BER-Pressemitteilung (pdf)