Unsere Vision von Dekolonisierung
5. Mai – Anton-Wilhelm-Amo-Straße in Berlin-Mitte: Eine große Menschenmenge spaziert durch die ehemalige „Mohrenstraße“ und feiert deren Umbenennung. Einige bleiben an den Tafeln stehen, die über den brandenburgisch-preußischen Sklavenhandel und die Geschichte der Straße und des U-Bahnhofes informieren. Das Ziel der Stadtführung: Das May-Ayim-Ufer in Kreuzberg. Heute findet das May-Ayim-Fest mit Musik, Reden und Leckereien zu Ehren der afrodeutschen Dichterin statt. Die Umbenennung des „Gröbenufers“ gilt als Vorbild für viele weitere im Berliner Stadtbild. Wo vorher Kolonialverbrecher geehrt wurden, findet nun eine Erinnerung an Persönlichkeiten statt, die sich gegen Kolonialismus und Rassismus eingesetzt haben.
Zum Fest kommen Besucher*innen des Berliner Stadtmuseums in Mitte hinzu. Sie berichten von der eindrucksvollen Ausstellung zur Kolonialgeschichte Berlins, die aus Sicht der afrikanischen Widerstandskämpfer*innen erzählt ist und nicht als Siegeszug Preußens. Viele Lehrer*innen sind unter ihnen. Seitdem der deutsche Kolonialismus und seine Verbrechen auf dem Lehrplan stehen, organisieren sie mit ihren Schulklassen Projekttage ins Museum und ans Ufer.
Die Menschenmenge geht unbeschwert weiter durch die Straßen Berlins, besucht Denkmäler und verweilt in Parks oder Cafés. Seitdem das Land Berlin Beschwerdestellen zu rassistischer Diskriminierung eingerichtet und die juristische Verfolgung dieser Straftaten verbessert hat, sind die rassistischen Überfälle stark zurückgegangen.
In unserer Eine Welt Stadt Berlin sind das kritische Erinnern und die Aufarbeitung von deutscher Kolonialgeschichte wesentliche Bestandteile der öffentlichen Auseinandersetzung und einer aktiven Landesentwicklungspolitik. Sie sind die Basis, um Rassismus und globale Ungerechtigkeit zu bekämpfen.
Aber leider leben wir noch nicht in der Eine Welt Stadt Berlin.
In Berlin zeugen noch viele Orte von der Verherrlichung der Kolonialzeit, ohne dass die Menschen davon wissen. Nur wenige haben von der Berliner Afrikakonferenz 1884/85 gehört, bei der der Kontinent Afrika unter den europäischen Kolonialmächten aufgeteilt wurde. Wer erinnert sich daran, dass 1896 die Kolonialausstellung mit ihrer menschenunwürdigen „Völkerschau“ im Treptower Park stattfand? Von Berlin aus wurden die deutschen Kolonien annektiert, verwaltet und regiert, hier planten die Nationalsozialisten ein neues Kolonialreich in Afrika.
Kolonialismus ist die Wurzel der ungleichen Verteilung von Geld, Rohstoffen und Macht. Es ist die Ursache von Kriegen und Rassismus. Die Kontinuitäten wirken fort: bei der Einteilung der Menschen in Gut und Schlecht, bei der ungenügenden Aufklärung von rassistischen Straftaten. Wer vom Kolonialismus nichts weiß, wird die Ungerechtigkeiten in Berlin und in der Welt nicht bekämpfen können. Das Land Berlin trägt bei der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus eine besondere Verantwortung.